Zugtreffpunkt aus Köln zur gemeinsamen Anreise: Freitag 3.12.2010 15:30 Hbf. Vordereingang
Anfang Dezember steigt an der Ruhr-Uni Bochum der zweite Kongress des umsGanze!-Bündnisses. Hier findet ihr alle wichtigen Infos und das aktualisierte Programm. Gerade jetzt, wo Staat und Bürger_innen reaktionär aufdrehen, wollen wir uns Zeit nehmen und über grundsätzliche Fragen diskutieren. Es geht um Arbeit und Krise, also um die Wurzeln gesellschaftlicher Herrschaft und Ohnmacht im Kapitalismus. Und dabei natürlich auch um die aktuelle Konjunktur rassistischer und chauvinistischer Krisenverarbeitung. Von Freitag bis Sonntag gibt es nonstop Podiumsdiskussionen, Workshops, Lesungen und Screenings. Wir konnten viele interessante Referent_innen gewinnen, und auch die umsGanze!-Gruppen legen sich ins Zeug. Wir sehen uns in Bochum!
SO, WIE ES IST, BLEIBT ES NICHT!
Gestern noch als bestmögliche Wirtschaftsform gefeiert, erscheint der Kapitalismus heute eher als fortwährende Bedrohung. Seine globale Krise hat Menschen und Unternehmen erschüttert und ganze Staaten in den Ruin getrieben. Staatliche Notkredite und radikale Kürzungsprogramme sollen den Standort retten, bedeuten aber neuen Verzicht für Lohnabhängige wie Erwerbslose. Sozial- und Gesundheitsleistungen werden gekürzt, das Rentenalter erhöht, gesellschaftliche Risiken insgesamt weiter privatisiert. Was einmal sicher schien, entpuppt sich als umkämpftes Zugeständnis auf Widerruf.
Das heraufbeschworene »neue deutsche Wirtschaftswunder« ist Teil der kapitalistischen Logik: Rasantes Wachstum hier und Staatspleite dort sind zwei Seiten desselben Prinzips. Während die »Wirtschaftsweisen« der Regierung noch darüber streiten, ob die Krise bereits überwunden oder doch nur aufgeschoben sei, ist eines bereits sicher: als ideologische Begleitmusik haben in Deutschland Rassismus und Sozialchauvinismus deutlich zugelegt.
Auf unserem Kongress wollen wir den grundlegenden Zusammenhang von Kapitalismus und Krise herausarbeiten. Wir wollen aber auch die aktuelle Krisenpolitik mit all ihren Zumutungen analysieren und über politische Strategien einer emanzipatorischen Linken streiten. Wir fragen nach der Transformation des Alltags, der Arbeit und des Sozialen. Wir untersuchen die Abgründe des Krisennationalismus und die Widersprüche der Forderung nach »sozialer Gerechtigkeit«. Wenn wir über Alternativen zum Kapitalismus diskutieren, dann in doppelter Stoßrichtung: gegen das verselbständigte, unnötige Zwangsverhältnis der Kapitalverwertung, aber auch gegen den (Real-)Sozialismus als schlechten, autoritären Versuch seiner Aufhebung.
Die »systemischen Risiken« und Krisentendenzen des Kapitalismus werden inzwischen öffentlich eingestanden. Dennoch scheint das historische Projekt seiner Überwindung derzeit ohne Chance. Gerade deshalb müssen wir klären: Wie kann ein Bezug auf »Kommunismus« heute aussehen? Wie kann radikale Kapitalismuskritik praktisch werden?
So, wie es ist, bleibt es nicht! Den Kapitalismus durch einen »Verein freier Menschen« (Marx) zu ersetzen, dieser Aufgabe sieht sich der Kongress verpflichtet.
Es ist eine Schlafplatzbörse eingerichtet. Aus Berlin, Wien und weiteren Städten werden Busse zum Kongress nach Bochum fahren. Mehr Informationen und Anmeldung unter kongress.umsganze.de
PROGRAMM:
Freitag, 3.12.2010
18-20 Uhr Workshop-Phase I
Einführende Workshops
Kritik der politischen Ökonomie mit Antonella Muzzupappa
Geschichte der Krisen des Kapitalismus mit Thomas Sablowski
Theorie des Staats mit Moritz Zeiler
Kapital und Arbeit mit Christian Frings
20-22 Uhr Eröffnungspodium
DIE KRISENHAFTIGKEIT DES KAPITALISMUS
Mit Michael Heinrich, Gerhard Stapelfeldt und Karl Heinz Roth (angefragt)
Moderation: Fast Forward Hannover
Die Krise des Finanzmarkts 2008 ging über in eine Staatshaushaltskrise und traf zugleich auf chronische Überproduktion in klassischen Bereichen der Industrie. Marxisten haben immer auf die Krisenhaftigkeit des Kapitalismus hingewiesen. Die Gründe dafür will das Podium nachzeichnen und ihre Stichhaltigkeit für die Erklärung der aktuellen Krise prüfen. Ob die Krise auch eine Chance auf radikale Veränderung bietet, oder wie bisher nur zur Festigung kapitalistischer Herrschaft führt, ist abhängig von den sozialen Auseinandersetzungen und der Rolle des Staates in der Lösung der gegenwärtigen Krise. Zu diesem Zweck wird das Podium in die Historie der Krisen kapitalistischer Vergesellschaftung und ihrer Lösungen einführen und dabei auch die Effekte auf die Subjekte beschreiben.
Samstag, 4.12.2010
10-12 Uhr Podium und Diskussion
KRISE UND »FINANZIALISIERUNG«
Mit Costas Lapavitsas und Thomas Sablowski
Die Krise des Finanzmarktes bietet nicht nur Anlass zur grundsätzlichen Kritik der kapitalistischen Produktionsweise, sie konfrontiert diese Kritik zugleich mit neuen Formen kapitalistischer Ausbeutung. Die sogenannte »Finanzkrise« entsprang dem US-amerikanischen Hypothekenmarkt, dessen Entwicklung zwar spezifisch amerikanisch ist, aber weltweit Folgen für die Produktionssphäre hat (sog. »credit crunch«). Mit dem Begriff »Finanzialisierung« wird eine Entwicklung beschrieben, bei der ein wachsender Anteil der Unternehmensgewinne aus Produkten des Finanzmarktes erzielt wird (Versicherungen, private Renten, Kredite etc.). Gewinne werden auch erzielt aus Zinsen und Gebühren für Kredite, die an Privathaushalte vergeben werden. Der private Konsum – und dies beinhaltet insbesondere Krankenkasse, Altersversorgung und Bildung – lässt sich immer weniger durch die stagnierenden Löhne finanzieren. Dieser Prozess wird als »direkte Ausbeutung« verstanden, da nun auch für die Reproduktion der Ware Arbeitskraft eine Gebühr berechnet und diese zunehmend vom Lohn abgekoppelt wird. Wir fragen, welche Folgen das amerikanische Modell für deutsche Verhältnisse hat, worin die Unterschiede liegen, und welche Konsequenzen das für eine kapitalismuskritische Position hat.
12:30-14 Uhr Workshop-Phase II
Krise/Kämpfe/Strategien mit Detlef Hartmann
Naturbeherrschung mit Dirk Lehmann
Arbeit und Reproduktion mit der Gruppe Dissident
Sozialchauvinismus/”Integrationsdebatte”/linke Praxis mit Dirk Stegemann
14-16:30 Uhr Podium und Diskussion
»VERKAUFT DOCH EURE INSELN, IHR PLEITE-GRIECHEN!«
Mit Werner Bonefeld, Klaus Müller und der Gruppe TPTG (Athen)
Moderation: TOP B3rlin
Die Finanzkrise wurde zur Eurozonenkrise und dort insbesondere zur Griechenlandkrise. Die chronologische Abfolge erklärt aber noch nicht die Ursachen für den Fall Griechenland. Denn die Ursachen liegen sowohl in Griechenland selbst als auch in der Struktur der Eurozone. Als zweitgrößter Kreditgeber des Landes und größte Wirtschaftsmacht in der EU hat Deutschland eine entscheidende Rolle in der Griechenland aufgezwungenen Sparpolitik gespielt, die der Rückzahlung an die – nicht zuletzt deutschen – Gläubiger Priorität einräumt. Damit wurde kenntlich gemacht, wie die Machtverhältnisse innerhalb der Eurozone beschaffen sind und in welche Richtung sie sich ändern werden. Schien der Widerstand gegen diese Krisenlösungsstrategie anfangs massiv zu sein und die Legitimation der herrschenden Ordnung zu untergraben, verpuffte er doch bald folgenlos. Dem kapitalistischen Angriff hatte er nichts entgegenzusetzen. Und so wird sich einmal mehr in die alternativlos scheinende Logik des Kapitalismus gefügt: Kürzungen, die zuvor nicht durchsetzbar waren, werden nun hingenommen. Dass der Kapitalismus aus seinen Krisen gestärkt hervorgeht, scheint sich einmal mehr zu bewahrheiten. Ursachen dieser – nicht nur griechischen – Misere will dieses Panel aufzeigen.
17-19:30 Uhr Podium und Diskussion
TRANSFORMATION DES SOZIALEN UND DES WIDERSTANDS
VON DEN 70ERN BIS HEUTE
Mit Mag Wompel, Andrea Trumann, N.N.
Moderation: ak theorie&praxis
Es ist so banal wie richtig, dass der Kapitalismus kein statisches System ist. Ständig muss er, zwecks Aufrechterhaltung seiner selbst, die Bedingungen und Formen von Lohnarbeit anpassen. Die drastische Zunahme der Leiharbeit, die Hartz-Gesetze und die nahezu abgeschlossene Integration der Frauen in den Produktionssektor sind Ausdruck davon. Auch die Linke hat diesen Fakt erkannt und verschieden erklärt: Die operaistische Theorie identifizierte den Klassenkampf als das Moment, welches das Kapital zu seiner ständigen Neujustierung zwinge, während die Wertkritik diesen Spieß umdreht und vor allem Sachzwänge als movens kapitalistischer Entwicklung betont. Diese unterschiedlichen Erklärungsansätze verweisen auf die allgemeine Frage, wer oder was die treibende Kraft im Kapitalismus ist. Welche Rolle spielen Klassen und ihre Kämpfe? Wie ist umzugehen mit ihrem (notwendig?) systemimmanenten Charakter und welchen Einfluss haben sie auf Strategien des Kapitals? Und was hat eigentlich der Staat damit zu tun?
20-22 Uhr Abendveranstaltung
»…, ES GIBT NUR DUMME ANTWORTEN!«
Mit Klaus Dörre, Christoph Lieber, N.N. und der Autonomen Antifa [F]
Entfremdung, Verdinglichung, Fremdbestimmung – ein großer Teil der deutschen Linken hat in den letzten 50 Jahren zu Recht die Kritik am Kapitalismus über den Aspekt der sozialen Ungleichheit hinaus erweitert. Wenn jetzt auf einmal nicht mehr nur Globalisierungsgegner von Armut und Mangel sprechen, sondern sogar die bundesdeutsche Öffentlichkeit über Hartz-IV, Leiharbeit und Billiglöhne diskutiert, dann ist eines gewiss: Auch in den Metropolen des globalen Kapitalismus erhalten längst nicht mehr alle Menschen eine wohlfahrtsstaatliche Entschädigung für ihr verkorkstes Leben. Die soziale Frage ist zurück, und schreit nach einer linken Antwort. »Gerechtigkeit« ist die zentrale Parole fast aller linken Bemühungen zu diesem Thema. Die Vorstellungen davon, was ihr Inhalt sein soll, gehen jedoch erwartungsgemäß weit auseinander und reichen von »Chancengleichheit« über das »bedingungslose Grundeinkommen« bis hin zum »Kommunismus«. Auf diesem Podium wollen wir diskutieren, was die Mindestanforderungen an einen linken Gerechtigkeitsbegriff sein könnten, welche Konzepte es gerade gibt und vor welche Aufgaben die Rückkehr der sozialen Frage die radikale Linke stellt.
Sonntag, 5.12.2010
11-13:30 Uhr Podium und Diskussion
GESPENST KAPITALISMUS
Mit Rüdiger Mats, Boris Buden und Frank Engster
Moderation: TOP B3rlin
Sollte er nicht längst tot sein? Obwohl durch eine anhaltende Verschuldungskonjunktur und die aktuelle Finanzkrise mittlerweile selbst zu einem substanzlosen Gespenst geworden, wird der Kapitalismus offenbar doch noch ewig weiterleben. Die Idee des Kommunismus dagegen ist zwar nicht mehr durch die Zumutungen eines »real existierenden Sozialismus« belastet, und auch Karl Marx hat wieder einen guten Ruf. Dafür ist der Kommunismus endgültig zu einem bloßen Namen und Platzhalter für das ganz Andere geworden. Für seine Notwendigkeit sprechen weder die objektiven (Klassen-)Widersprüche des Kapitalismus noch seine geschichtliche Entwicklung, gleichgültig, ob man diese Entwicklung als den Fortschritt seiner Produktivkräfte auslegen will oder als den Fortschritt seiner Krisen. Und auch Marx, so hat sich mittlerweile selbst bei seinen Kritikern herumgesprochen, hat gar keine Wissenschaft vom Kommunismus begründet. Ja, er hat nicht einmal eine positive Ökonomietheorie oder gar eine »revolutionäre Wissenschaft« begründet, sondern »nur« den Kapitalismus durch eine negativ gehaltene, logisch-systematische Entwicklung kritisch dargestellt. Kurzum, einzig die Alternativlosigkeit des Kapitalismus scheint noch für die Notwendigkeit des Kapitalismus zu sprechen. Ist angesichts dieser Situation mit Lenin erneut zu fragen: »Was tun?« Oder eher postmarxistisch: »So what?!« Es geht also um die Probleme einer (Neu-)Bestimmung des Kommunismus in nicht-revolutionären Zeiten und einer postutopischen Situation.
13:30-15 Uhr Podium und Diskussion
WAS HEISST RADIKALE KRITIK ORGANISIEREN?
Mit Frieder Otto Wolf, Lars Röhm (FAU Berlin), Hans-Jürgen-Krahl-Institut und Christian Frings
Moderation: Antifa AK Köln
Die Misere trägt den Namen der Alternativlosigkeit. Daher ist es angebracht zu fragen, welche »konkrete Utopie« als Way Out zu nehmen wäre. Welche Rolle spielen »Organisierung« und »Mobilisierung« für das Verhältnis von theoretischer Reflexion und praktischer »Aktion«. Gilt es, den Kampf um den Lohn zu betreiben, die proletarisierten Individuen in revolutionären Gewerkschaften bzw. Syndikaten zu vereinen oder gibt es andere praktische Alternativen für das alltägliche Leben? Kann es Ansätze von Selbstorganisation geben, die auf eine genossenschaftliche Produktion und somit auf die Sicherung der Existenz hinauslaufen? Und wären solche Ansätze geeignet, Lohnarbeit und Kapitalverhältnis in Frage zu stellen?