Im ND Bewegunsblog läuft zur Zeit eine Debatte zum Umgang mit gesellschaftlichen Rassismus und der AfD. Im Nachgang der verhinderten AfD-Veranstaltung bei Birlikte, ist jetzt unser Diskussionsbeitrag erschienen.
Nicht dumm machen lassen!
Eine Strategie gegen AfD, FPÖ und Front National muss die gesellschaftspolitischen Entwicklungen ins Zentrum ihrer Kritik setzen, meint die Kölner Gruppe »Antifa AK« und formuliert konkrete Vorschläge.
Die AfD ist nicht die NPD, vor allem nicht in der öffentlichen Wahrnehmung. Dass die AfD nahezuzu jeder Talkrunde eingeladen wird, macht ihre Positionen hoffähig. Inzwischen haben diverse linksliberale, linke und antifaschistische Gruppen ihre Ansichten zu einer Strategie gegen die AfD vorgestellt, dennoch gibt es unserer Ansicht nach erheblichen Klärungsbedarf, wie wir am Beispiel der Einladung des AfD-Mitbegründers Konrad Adam zum antirassistischen Kölner Kulturfestival »Birlikte«, den Protesten dagegen und den öffentlichen Reaktionen aufzeigen wollen.
Ein Gegner – zwei Strategien?
Die Verhinderung des Auftrittes von Konrad Adam in Köln rief in der lokalen bürgerlichen Presse einen Sturm der Entrüstung gegen die antifaschistische Bewegung hervor. Teile der Kölner Kultur- und Medienelite hatten im Rahmen des Birlikte-Festes nach eigenem Verständnis den AfD-Mitbegründer eingeladen, um sich mit den AfD-Positionen im gleichberechtigten Gespräch »auseinanderzusetzen«.
Damit waren sowohl die Initiative »Keupstraße ist überall«, VVN und die Grünen als auch diverse Antifagruppen nicht einverstanden. Bereits Wochen vor »Birlikte« entbrannte eine öffentliche Diskussion über die Veranstaltung mit einem Vertreter der AfD. Letztlich führten weder Gespräche, noch öffentliche Proteste zu einem Umdenken bei den Veranstalter_innen, WDR und Schauspiel Köln. Die Berichterstattung über die Verhinderung der Veranstaltung glich in den folgenden Tagen einer Hexenjagd. Der antifaschistischen Intervention wurde »undemokratisches« Verhalten und Diskussionsverweigerung vorgeworfen und de facto extrem rechte Positionen der AfD von Teilen der Presse als demokratisch legitimiert.
Um mehr Klarheit in diesen Streit zu bringen, erscheint es uns hilfreich, die unterschiedlichen strategischen Ansichten exemplarisch voneinander abzugrenzen. Für die Diskussion der verschiedenen Strategien halten wir es für wichtig, ein Augenmerk auf die zugrunde liegenden analytischen Einschätzungen des Aufstiegs der AfD zu werfen.
1. Die bestimmenden Akteure im Birlikte-Bündnis verfolgten im Streit um die Einladung Konrad Adams eine »Auseinandersetzung statt Attacke«-Strategie. Als prominentester Vertreter dieser Strategie kann Olaf Scholz gelten. Anfang Mai 2016 unterbreitete er dem SPD-Bundesparteivorstand ein »Strategiepapier zum Umgang mit der AfD«, das nicht nur breit rezipiert wurde, sondern dessen Leitgedanken sich auch im Kölner Streit wiederfanden. Die zentrale AussageScholz‘ lautet: »Wir sollten die AfD nicht dämonisieren.« Mit »Dämonisierung« ist dabei zweierlei gemeint: Zum einen geht es den Anhängern der »Auseinandersetzung mit der AfD« darum, Verbindungen von AfDlern zu extrem rechten Akteuren und Publizisten nicht ins Zentrum der Kritik an der AfD zu stellen und zum anderen sollen die politischen Themen der AfD aufgegriffen werden, um dadurch angeblich die AfD »inhaltlich zu stellen«.
Ausgangspunkt dieser strategischen Positionierung erscheint uns das verbreitete Unbehagen in Teilen des Bürgertums und der deutschen Wirtschaft zu sein, dass die AfD einen immer größeren Anteil der Wählerstimmen »ihrer« Parteien sich holt. Damit bedroht die AfD einerseits die »eigenen Pfründe« in Form von Parlamentssitzen etc., andererseits stellen Teile ihrer programmatischen Punkte zur EU und Außenpolitik praktisch die Geschäftsgrundlage der transnational operierenden deutschen Unternehmen infrage.
Nicht die Verbreitung nationalistischer und autoritärer Einstellungen erscheint vielen der »AfD-Kritiker« als Hauptärgernis, sondern die Infragestellung des »Status quo« von rechts. AfD-Politikern wird zum Beispiel vorgehalten, dass ihre Vorstellungen von Grenzzäunen zum Rückstau tausender Lkw an der Grenze führen würden und damit ein gefährlicher Schuss auf die Unternehmensbilanzen des exportorientierten Gewerbes abgefeuert werde. Der »kritische Dialog« mit der AfD zielt zuallererst auf die vermeintliche Dysfunktionalität der AfD-Vorschläge für den Standort Deutschland. Vor diesem Hintergrund erscheint es uns aussagekräftig, die Analyse der Vertreter*innen der »Auseinandersetzen«-Strategie zum Aufstieg zu betrachten. Ihre Antwort auf die Frage, warum eigentlich Teile der eigenen Wählerschaft mit fliegenden Fahnen zur AfD-Konkurrenz wechseln, stellt sich beim Hinsehen als Legitimationsideologie einer sich verschärfenden autoritären Politik dar.
Dresdener AfD-Versteher
Als vermeintliches Master-Mind der »Auseinandersetzten«-Strategie präsentiert sich der AfD-Versteher Werner Patzelt aus Dresden. Sein Schlüsselbegriff der »Repräsentationslücke« dient zugleich als vermeintliche Analyse des Aufstiegs der AfD und als strategische Empfehlung an die Machtelite. Die Abwanderung der Wähler zur AfD sei Folge einer »Ausgrenzung« von »rechten Beschreibungen, Denkfiguren und Interessen als ›politisch inkorrekt‹«. Vereinfacht gesagt behauptet Patzelt, dass die »besorgten Bürger« nicht so reden dürften, wie ihr Schnabel gewachsen sei. Diese angebliche Lücke im politischen Raum fülle nun Pegida, AfD und Konsorten. Hierdurch erscheinen die von Ressentiments geladenen und von rassistischen Motiven getriebenen Bürger als eine ausgegrenzte Minderheit, denen man zu ihrem »Recht auf Gehör« verhelfen müsse. Die Feministin Sara Ahmed nannte diese Umkehrung schon vor Jahren treffend eine »perverse Logik«. »Rassismus wird dann zu einer Minderheitenposition, die gegen die [angebliche] multikulturelle Hegemonie verteidigt werden muss. […] Dieser perversen Logik zufolge erscheint der Rassismus dann als eine Form von Redefreiheit. Wir haben es mit einem neuen Freiheitsdiskurs zu tun: Es geht um die Freiheit, verletzend zu sein, wobei der Rassismus als Verletzung erscheint, die unsere Freiheit wieder herstellt« (Sara Ahmed, »Liberal Multiculturalism Is the Hegemony – Its an Empircal Fact«).
Auch die Gegendiskutantin zu Konrad Adam, Naika Foroutan, formuliert im Kölner Stadtanzeiger treffend ihre Bedenken gegen die Protegierung des Rassismus unter dem Banner der Redefreiheit. Durch die rassistischen Provokationen der AfD in der Öffentlichkeit »verschieben sich nach jeder Provokation die Sagbarkeitsgrenzen mit den Koordinaten. ›Das wird man doch noch sagen dürfen.‹ […] Der Protestraum wird immer weiter eingeengt, und die menschenverachtenden Positionen erscheinen als immer weniger radikal. Der Protest auf dem Birlikte-Festival könnte auch als Ausdruck der Verweigerung gegenüber diesem schleichenden Prozess verstanden werden.«
Indes sehen wir als Antifa AK bei der Auseinandersetzungsstrategie nicht nur eine Verschiebung in den Sagbarkeitsgrenzen. Gewichtiger erscheint uns, dass Teile der Politik in ihrer Auseinandersetzung mit der AfD deren reaktionären »Krisenlösungsansätze« übernehmen. Werner Patzelt sieht derweil die Große Koalition mit ihren Asylrechtsverschärfungen auf dem richtigen Weg, die AfD-Wähler*innen zurückzugewinnen: »Was früher als inhuman kritisiert wurde, wird jetzt aufgegriffen und zu Gesetzen gemacht.«
2. Eine Strategie gegen die AfD, die nicht zur Legitimation immer neuer »Schweinereien« der Großen Koalition dienen will, darf unserer Ansicht nach nicht blind sein gegen die gesellschaftlichen Grundlagen der »Enthemmung der Mitte«. Als Antifa AK versuchen wir, zusammen mit unseren Bündnispartnern, mit der antifaschistischen Kampagne »Nationalismus ist keine Alternative« eine genau solche Strategie auszubuchstabieren. Wir sehen den Aufstieg der AfD im Kontext der politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte.
Willkommen in interessanten Zeiten
Nehmen wir für die skizzenhafte Analyse die wirtschaftlichen Zuspitzungen als Ausgangspunkt. Mit dem Zusammenbruch des real existierenden Stalinismus und dem Verschwinden der blockfreien Staaten begann ein globaler Siegeszug des Kapitals. Mit dem freien Waren- und Kapitalverkehr spitzte sich die Konkurrenz der Nationen auf dem Weltmarkt dramatisch zu. Der Kampf um die Aneignung des globalen Mehrwerts ging mit Staatenverfall und immer neuen imperialistischen Kriegen zur Sicherung globaler Ausbeutungsverhältnisse einher, deren Folge die heute größte Fluchtbewegung der Menschheitsgeschichte ist. Mit der neuen globalen Konkurrenz vollzog sich die Implementierung der politischen Ökonomie des Neoliberalismus bis in die letzten Sphären des Gesellschaftlichen hinein. Immer neue Produktivitätsvorteile und Innovationsschocks für den eigenen Standort wurden gegen vehemente soziale Widerstände durchgesetzt. Das Ziel der Lohnstückkosten-Verringerung wurde durch Ausweitung von Niedriglohn, prekärer Beschäftigungsverhältnisse, wie einer Verschärfung des Sozialstaates in Angriff genommen, der vermehrt zur Arbeit diszipliniert. Das dominante politische Programm in den Industriemetropolen der letzten Jahrzehnte lässt sich dahingehend zusammenfassen, dass immer größere Unsicherheiten in die sozialen Beziehungen zwischen den Menschen getrieben werden.
Dieser »marktförmige Extremismus« führte nach Eva Groß und Andreas Hövermann von der Universität Bielefeld zu einer »verallgemeinerte[n] neoliberale Norm der Selbstoptimierung«. Vereinfacht gesagt, glaubten die Lohnsklaven (Marx nannte sie Arbeiter) zunehmend sich selbst für die Kapitalisten »optimieren« zu müssen. Ehemals solidarische Praxisformen treten in den Hintergrund und Interessenformulierungen vollziehen sich zunehmend in der Konkurrenz zu den Mitleidenden. Sozialpsychologisch führt dieses neue Selbstverständnis (Subjektivierungsweise) zu einer zunehmenden Härte gegen sich selbst. Der autoritäre Charakter wähnt durch die Härte gegen sich selbst, das Recht der Härte gegen Andere erkauft zu haben. Empathielosigkeit und sadistische Fantasien feiern dabei nicht nur in Kinos fröhliche Urstände.
Der Siegeszug des Kapitals hat dabei nicht nur in den ökonomischen Beziehungen und den Subjekten Spuren hinterlassen, auch in den repressiven und ideologischen Staatsapparaten vollzog sich eine »autoritäre Formierung«. Befugnisse für Polizei und Sicherheitsdienste wurden immer mehr erweitert, Frontex Einsätze finden ohne Öffentlichkeit und parlamentarische Kontrolle statt und weitreichende politische Entscheidungen treffen, wie das Troika-Regime im Griechenland, nicht mehr die gewählten Abgeordneten. In Frankreich kann dieser Tage begutachtet werden, wie »demokratisch« ein neues Arbeitsgesetz mit Gasgranaten und Schlagstöcken abgestimmt wird. Die »Verselbstständigung der Exekutivgewalt« geht einher mit der Aushöhlung von Grundrechten durch immer neue Sondergesetze für zum Beispiel »Ausländer« oder »Erwerbslose«. Ideologisch abgesichert wird dieser Prozess durch einen Standortnationalismus, der konsequent sozialdarwinistisch, seine Bürger und die es werden wollen, nach ihrer Nützlichkeit für Staat und Wirtschaft sortiert. Ergebnis von all dem ist die Etablierung der Krise als Lebensform; die Ausgeschlossenen vermehren sich und müssen eine verschärfte soziale Kontrolle und Ausschluss, neoliberale Verwaltung der Arbeit und Erwerbslosigkeit ertragen.
Wir hören mit der Scheiße nicht auf, bis die Scheiße aufhört
Eine Strategie gegen AfD, FPÖ, Front National etc. muss die gesellschaftspolitischen Entwicklungen ins Zentrum ihrer Kritik setzen. Die reaktionären Krisenlösungen dieser Parteien schneiden sich gewiss mit vielen Gepflogenheiten der herrschenden Politik und widersprechen in einigen Punkten den Interessen der Industrie, nichtsdestotrotz sind sie der radikalste Ausdruck der allgemeinen »autoritären Formierung« von Staat und Gesellschaft. Daher ist unser strategisches Ziel im Kampf gegen die AfD eine solidarische Alternative zu einer menschenfeindlichen Politik aus Nationalismus, Sexismus und knallhartem Neoliberalismus sichtbar zu machen.
Die Sichtbarmachung ist aber leichter gesagt als getan. Wie wir in den letzten Monaten feststellen konnten, gibt es keinen sichtbaren politischen Gegenspieler zur AfD in der Öffentlichkeit. Die Kampagne »Nationalismus ist keine Alternative« ist bisher eher ein Projekt der Aktivierung der radikalen Linken – sie hat jedoch dabei das Ziel, Teil eines breiteren gesellschaftlichen Gegenentwurfs zur autoritären Formierung von Staat und Gesellschaft zu sein. Wir werden weiter versuchen linksliberale Bündnispartner gegen die AfD zu gewinnen und Teile des Bündnisses »Aufstehen gegen Rassismus« von der Notwenigkeit einer deutlichen Kritik an der bestehenden Regierungspraxis und ihrer autoritären Verschärfung zu überzeugen. Es entsteht ein interessantes Feld, wo weitergehende Auseinandersetzungen, wie etwa gegen Asylrechtsverschärfungen, möglich werden. Gleichzeitig denken wir, dass es einen deutlichen Umschwung im Theorie-Praxis-Verständnis im Kampf gegen diese Zustände braucht. Dabei sollten alte bewährte Rezepte erweitert und neue Ideen riskiert werden:
Es ist an der Zeit, dass sich die diversen antirassistischen, antisexistischen und antifaschistischen Initiativen von zeitlich beschränkten Minimalkonsens-Bündnissen hin zu einer inhaltlichen Bündnisarbeit bewegen. Dabei muss mehr her als eine einfache Aufsummierung von Akteuren. Innerhalb eines solchen Prozesses der Formierung einer emanzipatorischen Gegenmacht sollten wir versuchen, die bestehenden gesellschaftlichen Bruchlinien zu befeuern. Egal ob in Thessaloniki, wo wir mit den Geflüchteten Wohnraum besetzen und den Frontex Schergen einheizen, beim Arbeitskampf der Amazon-Arbeiter*innen Flugblätter mit verteilen oder aber der Reaktionären bei AfD-Veranstaltungen auf die Pelle rücken, letztendlich braucht es eine grundsätzliche Diskussion über die wahre Alternative zu Staat, Patriarchat und Kapital. Beispiele von Ansätzen dieser Formierung ließen sich in Köln nach den sogenannten Silvesterereignissen beobachten, wo ein breites Bündnis der rassistischen Instrumentalisierung der sexuellen Übergriffe feministische Positionen entgegensetzte. Sowohl im Protest gegen sogenannte »Besorge Eltern« oder gegen den »Marsch fürs Leben« in Berlin muss der antirassistische und antisexistische Kampf gemeinsam gefasst werden. Interessante Ansätze, die noch zu diskutieren sind, finden sich in»analyse und kritik« (ak). Von besonderer Bedeutung erscheint uns ebenfalls die angestrebte Politisierung der Willkommensinitiativen, z.B. durch die Welcome2stay-Konferenz. (Auch) die ambitionierten Aktionen von Blockupy im September gegen das Arbeitsministerium in Berlin könnten den Grundstein für den weiteren Prozess – hin zu einer inhaltlichen Bündnispolitik – legen.
Gleichzeitig sollten wir weiterhin durch öffentlichkeitswirksame Aktionen wie den Blockaden beim AfD-Bundesparteitag den politischen Raum zurückerobern. Mit etwas Kreativität konnte mit der Aktion in Berlin »Return to Sender« der Zusammenhang von rassistischen Debatten und Brandanschlägen in der Öffentlichkeit thematisiert werden. Unsere Aktionen in weißen Maleranzügen sind derweil zu einem Markenzeichen geworden – wenn auch nur in den linken Social-Media-Kreisen.
Als letzter Punkt erscheint für die radikale Linke insbesondere die Bereitschaft, sich die eigenen Hände schmutzig zu machen, sprich in der Gesellschaft zu agieren und in bestehende politische Diskussionen wie beim Birlikte-Fest zu intervenieren, von großer Bedeutung zu sein.
Vielleicht mag die eine oder andere Leser*in am Ende ein wenig enttäuscht sein, dass der Antifa AK noch immer nicht seine Weltrevolutionspläne veröffentlichen mag. Nun ja, solange es in der BRD keine größeren sozialen Auseinandersetzungen und Verbindung von Teilkämpfen wie in Frankreich gibt, werden wir es schwierig haben der Reaktion etwas entgegenzusetzen– eine soziale Bewegung kann leider nicht herbei plakatiert werden.