Redebeitrag auf der Knastdemo 2010

Indymedia Artikel zur Demo

Werte Genoss_innen!

Ein weiteres Jahr ist passé und leider ist es noch immer ruhig in der BRD. Die großen Meinungsbildner, ob privat oder öffentlich-rechtlich, predigen die Krise sei nun so gut wie überstanden und ein Hauch von wirtschaftlichem Aufschwung liege in der Luft. Und tatsächlich: hierzulande blieb der vorangekündigte „heiße Herbst“ verhältnißmäßig kalt und grau.

Doch was im europäischen Vorzeigestaat so friedlich anmutet, zeigt in anderen EU Staaten sein wahres Gesicht. In verschiedenen Ländern auf dem Kontinent wurden andere Antworten auf die Krise sichtbar; so flammten die sozialen Revolten in Griechenland wieder auf, großflächige Streiks in Frankreich und Spanien sowie Studienproteste in England füllten die Schlagzeilen und sorgten dafür, dass Krise und Protest nicht ganz totzuschweigen waren.

Nun ist es nichts Neues, dass Proteste dieser Art staatliche Repression mit sich führen; in den heutigen Zeiten werden in nahezu allen europäischen Ländern neue Haftanstalten gebaut. So z.B. auch in unserer unmittelbar Nähe in Ratingen bei Düsseldorf, wo derzeit die Konstruktion eines neuen Privatknasts stattfindet.
Der dem Kapitalismus immanenten „Sicherheitsstaat“ braucht aber an sich gar keine Krisen, um sich zu vollziehen. Dennoch inszenierte sich in dieser Zeit die großflächige Repression unter erhöhter Wahrnehmbarkeit.

Gerade in Ländern wie Griechenland, wo sich der Protest gegen das soziale Ungleichgewicht am stärksten ausdrücken konnte, wird auch am drastischsten deutlich, wie die Staatsgewalt mit fundamentaler Kritik und Widerstand umzugehen weiß. Der Begriff „Kriminalisierung“ allein reicht nicht aus, um zu beschreiben, wie mit den unter pauschalem Terrorverdacht stehenden Menschen umgesprungen wird.
Absurde Haftstrafen in absurden Verfahren mit absurden Strafmaßen – und das alles unter dem Deckmantel des Kampfes gegen den ach so bösen Terrorismus. So werden Menschen wegen des Vorwurfs von Vermummung zu 8 Jahren oder wegen Bankraubs zu gar 35 Jahren Haft verurteilt. Selbst im bürgerlichen Sinne, sowohl moralisch als auch juristisch, kann in diesen Fällen wohl kaum noch von einer gegebenen Verhältnismäßigkeit die Rede sein. Der Staat handelt nach seiner ganz eigenen Interpretation von „no justice, no peace“ – wenn kein Durchgreifen, dann kein Friede.

Die Masseninhaftierung als Verwaltungsform wird aber nicht nur in Europa bevorzugt. Ein Blick auf den Iran, der durch die Protestbewegung von 2009/2010 Hoffnungen auf eine radikale Maßnahme gegen das islamische Klerikalregime weckte, weist Ähnliches auf; seitdem die Bewegung im repressiven Exzess niedergeschalgen wurde, findet bis heute ein Wechselspiel zwischen willkürlichen Razzien, Massenfestnahmen, Folter und Tod statt – entweder in Form von Krepieren im Knast, oder in kurzfristig vollstreckten Hinrichtungen.

Diese Maßnahme der staatlichen Tötung steht bekanntermaßen auch in der USA teilweise auf der politischen Agenda. Und auch dort war neulich etwas in Bewegung; besonders der Bundesstaat Geogria, bekannt für berüchtigte Haftanstalten mit widerlichen Bedingungen, erweckte jüngst unser Aufsehen; mehrere Tausend Insassen aus mehreren Knästen streikten und legten die Arbeit nieder; jene beschissene Lohnarbeit, die als kapitalistisch-verwertbares Element selbst hinter Gittern verdammt noch mal keine Ruhe gibt. Was forderten die Gefangenen? Kurz gesagt, bessere Verhältnisse, noch kürzer gesagt: einen „besseren“ Knast.

Wie ist mir solchen Forderungen umzugehen? Natürlich sind diese nicht abzuweisen, sie sind sogar zu unterstützen, da sie eine konkrete Verbesserung der abartigen Lebensumstände im Knast mit sich bringen. Nichtsdestotrotz bietet sie allerhöchstens die Grundlage für eine notwendige, fundierte und radikalere Forderung: der Abschaffung der Knäste als Grundfeiler der herrschenden Ordnung und der Gesellschaft, die sie hervorbringt.

Denn Knäste sind nicht bloß eine Ausdünstung des Staates, die darauf abzielt „abweichende“, nicht konforme, überflüssige oder unerwünschte Menschen zu unterdrücken und zu isolieren. Es ist im Gegenteil ein organischer Bestandteil der Gesellschaft. Bei genauerem Hinsehen können wir behaupten, dass das Gefängnis keine Erweiterung der Gesellschaft ist, sondern die Gesellschaft eine Erweiterung des Gefängnisses.

Schon von den jüngsten Jahren an büßen die sog. „zivilisierten Menschen“ ihre Strafe im Innern der Gefängnisgesellschaft ab und gewöhnen sich so an die Einschliessung als Norm. Die sog. Erziehung in sämtlichen Strukturen ist nur der Anfang jener Lebenslänglichkeit, die uns abwechselnd zu Gefangenen und zu Wärtern der Reproduktion der Einsperrungs-Ideologie macht.
Was heißt das konkret? Kaum in der Lage, das erste Wort zu sprechen, lernen wir uns in der bürgerlichen Gesellschaft zu unterwerfen; anfangs stehen (zumindest rein rechtlich) unsere Eltern uns als Autoritäten gegenüber, bevor in Schule, Uni, Ausbildung und Lohnarbeit diese rote Linie weiter durchgezogen wird; die Struktur der Unterwerfung findet sich in allen Bereichen wieder, autoritäre Postionen werden nicht nur von fiesen Bösewichten bezogen. Dieses Verhältnis wird nämlich nicht frei gewählt, viel mehr müssen sich die Individuen gesamtgesellschaftlich zwanghaft darin zu Recht finden, ansonsten gerät man an abgestoßene Randgebiete der Gesellschaft – oder man geht unter.

Wenn wir also davon ausgehen, dass der Knast dieser Gesellschaft innewohnt, und dass sich das bestehende Herrschaftssystem momentan nicht von ihm trennen kann, dann ist eines doch offensichtlich: der Wille, die Gefängnisse zu zerstören, ist unmittelbar verbunden mit der Zerstörung der bestehenden sozialen Verhältnisse. In einem Wort: um gegen das Gefängnis zu sein, muss man unweigerlich auch Revolutionär sein.
Im Hinblick auf die Gefangenenforderungen der USA wird dadurch nun klar: Um sich auf radikale Ziele zu konzentrieren, muss man den Teilkampf überwinden und zu einer Vision und Kritik der Totalität des Bestehenden gelangen. Der Kampf geht ums Ganze. Nicht mehr, nicht weniger.

In diesem Sinne:
der Knastgesellschaft kollektiv den Mittelfinger zeigen!
Die Gesamtscheiße des Kapitalimus bedingungslos runterspülen!

Privatisierung des „Abschiebegeschäfts“

Die Privatisierungswelle macht auch vor der Flüchtlingsversorgung und der Abschiebepraxis nicht halt. Das Geschäft mit der Abschiebung floriert mittlerweile in der BRD. „Professionell und effizient“ sind die Schlagworte unter denen Überwachungs- und Versorgungsbereiche in die Hände von privaten Anbietern gelegt werden. Ziele sind Teile der Bewachung und Organisation von so genannten Ausreisezentren sowie Gefängnissen und Unterkünften, aber auch die Versorgung, Betreuung und den Transport von Flüchtlingen auszulagern. 40 bis 50 % der Personalausgaben, so rechnen wissenschaftliche VertreterInnen der Sicherheitsbranche vor, ließen sich mit einem Outsourcing einsparen.

Kötter Security

Kötter Security ist eine Sicherheitsfirma, die im Auftrag von staatlichen und privaten Unternehmen arbeitet. Beispielsweise in Köln ist sie für die Sicherheitsgewährung im Flughafen Köln/Bonn zuständig. In der JVA Büren stellt Kötter Security 50% des Überwachungspersonals und übernimmt die Aufgaben der Schließer, die Türen innerhalb und die Knasteingangstore für die Häftlinge zu öffnen und zu schließen. Da Kötter Security auch MigrantInnen einstellt, kommt es zu der Situation, dass in Büren MigrantInnen für 8,00 € die Stunde bewachen, während die Gefangenen für 2,00 € Stundenlohn arbeiten. Von den 2,00 € wird allerdings fast die Hälfte einbehalten, um die „entstandenen Kosten“ der Inhaftierung und Abschiebung zu finanzieren. Auf einer Security Messe empfahl sich Kötter Security damit, dass sie bereits die Infrastruktur besäßen, um Knäste komplett in privater Regie zu übernehmen. Um sich auf diesem Gebiet weiter zu profilieren, gründete Kötter Security eigens einen so genannten Sicherheitsbeirat, in dem so illustre Persönlichkeiten wie General a.D. Ulrich Wegener, Gründer der GSG9, Dr. Peter Frisch, ehemaliger Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz und Hubertus Grützner, ehemaliger Bundesvorsitzender des Bundesgrenzschutzverbandes sitzen.

Der Sicherheitsbeirat soll sich bei der Politik dafür einsetzten, weitere Bereiche der Gefängniswirtschaft zu privatisieren. 2004 wurde in Hünfeld der Grundstein für das bundesweit erste teilweise privat geplante, gebaute und betriebene Gefängnis gelegt.

European Homecare

Neben Kötter Security ist ein weiteres expandierendes privates Unternehmen mit der Versorgung von Insassen in der JVA Büren betraut. Seit dem 1.1.2003 wird die psychosoziale Betreuung der Abschiebehäftlinge in Büren durch die private Firma European Homecare, vormals Kote & Mrosek durchgeführt. Zuvor war dies jahrelang Aufgabe des Deutschen Roten Kreuz (DRK).

Die psychosoziale Betreuung war eingerichtet worden, nachdem Häftlinge mehrmals revoltiert hatten und ist somit als so genannte Befriedungsmaßnahme zu beurteilen. Die Arbeit der hauptamtlichen BetreuerInnen besteht demnach im Wesentlichen aus psychosozialer Beratung, also klassischer Sozialarbeit, zusätzlich werden Freizeitmaßnahmen wie Koch- oder Deutschkurse angeboten. Zur Zeit werden vier Menschen mit je einer halben Stelle beschäftigt, die alle schon für das DRK gearbeitet haben. Nach wie vor ist es den MitarbeiterInnen aber nicht erlaubt, rechtliche Hinweise oder Beratung zu geben sowie Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben.

Die Sorgen vieler Häftlinge, wie sie aus dem Abschiebegefängnis herauskommen oder die Suche nach Möglichkeiten einer Verhinderung der Abschiebung bleiben somit unbeantwortet. Es geht in der psychosozialen Betreuung ausschließlich um das subjektive psychische Wohlbefinden der Eingesperrten.

Warum aber wurde die private Dienstleitungsfirma European Homecare mit diese Beratung betraut und nicht mehr das DRK? Ein Unterschied zwischen DRK und European Homecare besteht in der Vergütung. European Homecare hat den Zuschlag für die Betreuung in Büren bekommen, weil sie mit 12,90 € pro Tag und InsassIn deutlich unter dem Angebot des DRK von 17,- € blieb.

European Homecare übernimmt neben der psychosozialen Beratung in Abschiebegefängnissen auch die so genannte „Rückkehrberatung“ in elf deutschen und vier österreichischen Erstaufnahmestellen und Wohnheimen für MigrantInnen. In der „Rückkehrberatung“ geht es laut eigener Aussage von European Homecare auf ihrer Homepage darum, den MigrantInnen Informationen über ihre Lage und eine so genannte „realistische Einschätzung der Perspektiven“ aufzuzeigen. So soll zum Beispiel die berufliche Qualifikation der zu Betreuenden evaluiert und ermittelt werden, um herauszufinden ob sich die jeweilige Ausbildung dazu eignet in der BRD beruflich Fuß zu fassen. Hauptsächlich dient die „Rückkehrberatung“ allerdings dazu die Annahme zu erlangen, dass eine Ausreise für die MigrantInnen die richtige und einzige Alternative darstellt.

Neben der Beratung ist European Homecare auch im Immobiliengeschäft tätig und bietet den Service Immobilien in Asylunterkünfte umzubauen. Weitere Dienstleistungen sind z.B. die „Unterbringung sozialer Randgruppen“, die Verpflegung von Flüchtlingswohnheimen und Ausreisezentren, „Beschaffung von Einrichtungsgegenständen“, „Verwaltungssoftware“, und die allgemeine Projektberatung.

Ein regionales Beispiel für die Arbeit der EHC ist die psychosoziale Betreuung auf dem Transitgelände des Düsseldorfer Flughafens, auf dem MigrantInnen 19 Tage lang festgehalten werden können bis sie einen Asylantrag stellen dürfen oder abgeschoben werden.

Psychoterror als „Beratung“

Die „rückkehrorientierte Beratung“, die den MigrantInnen verdeutlichen soll, dass es für sie keine Bleiberechtsperspektive in Deutschland gibt, ist keine Beratung. Denn eine Beratung ist prinzipiell ergebnisoffen und darauf ausgerichtet, mit den AdressatInnen verschiedene Handlungsalternativen zu erarbeiten. Die so genannte Beratung in Abschiebeknästen und Ausreisezentren hat jedoch nur ein Ziel: die schnellstmögliche Ausreise. Dass sie eher Verhöre sind und psychischen Druck aufbauen sollen, zeigt die Tatsache, dass die VerhörerInnen in polizeilichen Verhörmethoden geschult werden.

Die Privatisierung von Gefängnissen und Abschiebezentren sichert durch die praktizierte „Effizienz“ die Gewinne der Firmen im „Flüchtlingsgeschäft“. Was diese angebliche Effizienz hervorzubringen vermag, zeigte sich bereits im Februar 2002 in der Nähe von London. Dort brach 3 Monate nach der Fertigstellung eines „Immigration Detention Centres“ ein verheerendes Feuer aus, weil an der Sprinkleranlage gespart worden war. Die Feuerwehr durfte erst auf das Gelände, nachdem die Polizei es umstellt hatte, damit keiner der 385 Flüchtlinge davonkommen konnte. Mehrere Menschen wurden verletzt oder verloren ihr gesamtes Hab und Gut. Dass im Folgenden dreizehn Flüchtlinge angeklagt wurden und nicht der private Betreiber des Abschiebegefängnisses, obgleich die Feuerwehr erhebliche Sicherheitsmängel in der Nachuntersuchung feststellte, ist Programm des „effizienten Flüchtlingsgeschäfts“.

Abschaffen!

Neben den Effizienz- und Kostenfragen ergeben sich aus der Privatisierung für Bund und Länder zahlreiche Vorteile daraus, ein privates Unternehmen zu beschäftigen. Ein abhängiges Dienstleistungsunternehmen stellt keine lästigen menschenrechtlichen Fragen oder plädiert gar für die Einhaltung von Mindeststandards. Eine Privatfirma lässt auch sicherlich keine öffentliche Kritik an katastrophalen Zuständen in Gefängnissen und Ausreiselagern verlauten. Darüber hinaus kann die Verantwortung für eskalierende Situationen und Vorfälle abgeschoben und als Versagen der Unternehmen ausgelegt werden. Skandalös genug, dass Flüchtlinge gegängelt werden durch Meldeauflagen, eingesperrt werden dafür, dass sie ein selbst bestimmtes, uneingeschränktes Leben führen wollen und abgeschoben werden in Länder, wo ihnen Folter, Vergewaltigung und Mord drohen. Dass durch die Privatisierung von Gefängnissen mit dem Leid der MigrantInnen auch noch Geld verdient wird, private Firmen an der rassistischen Gesetzgebung mit verdienen und das Leben der gefangenen MigrantInnen bis zu letzt der kapitalistische Verwertungslogik ausgesetzt wird, ist zum Kotzen!

In diesem Sinne:

Solidarität muss praktisch werden!

Aufruf zur Gedenkdemonstration am 9. November 2007

69 Jahre danach…

Im dritten Jahr in Folge ruft ein loses Bündnis von antifaschistisch gesinnten Menschen in Köln zum Gedenken an die Opfer der Reichspogromnacht von 1938 und zum Kampf gegen jeglichen aktuellen Antisemitismus auf. Beginnen werden wir mit einer Gedenk-Kundgebung am Offenbachplatz, dem Ort, an dem einst Kölns größte Synagoge stand, an die heute nur noch eine kleine Gedenktafel erinnert. Daran anschließend werden wir in der St. Apernstraße, bis zum NS ein Zentrum des vielfältigen jüdischen Lebens in Köln, die Unmöglichkeit wagen, uns zumindest ansatzweise eine Vorstellung davon zu machen, wie selbstverständlich jenes jüdische Leben trotz der langen Traditionen des Antijudaismus und des Antisemitismus zu Köln gehörte. Am Bahnhofsvorplatz möchten wir auf die Rolle der Reichsbahn bei der Deportation in die Vernichtungslager des Deutschen Reichs hinweisen. Noch heute weigert sich der Vorstand des Rechtsnachfolgers der Reichsbahn, die Bahn AG, dem Gedenken an 11.000 jüdische Kinder, die von Frankreich aus in Viehwagons in den Tod geschickt wurden, einen angemessenen Raum in den Bahnhöfen zu gewähren. Abschließend werden wir an der Gedenktafel am ehemaligen Aufgang Bahnhof Deutz-Tief den Ort besuchen, von dem aus die Deportationszüge aus Köln in die Ghettos und Vernichtungslager im Osten losfuhren.

Die Reichspogromnacht

Die Reichspogromnacht im November 1938 markiert rückblickend einen entscheidenden Übergang von der sukzessiven Entrechtung und der Verdrängung der jüdischen Bevölkerung aus dem gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben hin zum offenen staatlich legalisierten und organisierten Terror, zu Deportation, Mord und Vernichtung. Die antisemitisch verfolgten Individuen und Gruppen mussten die Pogrome als Signal dafür werten, dass die bisher zumeist beschrittene Strategie der Unauffälligkeit, der möglichst unsichtbaren Wirtschaftstätigkeit und der bescheidenen Lebensführung einem Antisemitismus, der sich zunehmend als eliminatorisch herauskristallisierte, nicht genügten. Eine Flucht aus Deutschland war für die meisten in der Folge jedoch noch schwieriger, dennoch setzte nach der Reichpogromnacht eine große Flucht- und Auswanderungswelle ein.

Die NSDAP-Propaganda versuchte die Novemberpogrome als „spontane“ Reaktion der Bevölkerung auf den Tod des deutschen Diplomaten Ernst Eduard vom Rath zu inszenieren. Dieser wurde am 7. November 1938 in Paris von einem 17-jährigen Juden namens Herschel Grynszpan niedergeschossen und erlag zwei Tage darauf seinen Verletzungen. Die Familie Grynszpans war kurz vor der Tat mit ca. 18 000 weiteren Juden polnischer Herkunft in der ersten groß angelegten Massendeportation aus Deutschland ausgewiesen worden und musste sich im deutsch-polnischen Grenzgebiet durchschlagen. Ein entscheidendes Tatmotiv Grynszpans war, die internationale Aufmerksamkeit auf die Not der Abgeschobenen zu lenken. Die NSDAP instrumentalisierte die individuelle Tat eines Verzweifelten, um mit ihr eine vermeintliche Bestätigung für den antisemitischen Wahn einer „jüdischen Weltverschwörung“ zu konstruieren.

Die ersten Seiten der auf Linie getrimmten Presse sollten sie als Anschlag des „internationalen Judentums“ auf das Deutsche Reich darstellen. „In eigenen Kommentaren ist darauf hinzuweisen, dass das Attentat des Juden die schwersten Folgen für die Juden in Deutschland haben muss“, forderte ein Schreiben, das Josef Goebbels an die gesamte Presse richtete. Auch wenn der „spontane Volkszorn“ nicht der Ursprung des Pogroms war, erwies sich die deutsche Bevölkerung in der großen Mehrheit als willens, den Terror gegen die jüdischen Nachbarn zu akzeptieren, ihn schweigend hinzunehmen, ihn anzufeuern oder sich gar aktiv daran zu beteiligen. Widerstand gab es nur sehr vereinzelt. Leiser Unmut äußerte sich – wenn überhaupt und das auch nur hinter vorgehaltener Hand – gegenüber der vermeintlich unkontrollierten Entfesselung der Gewalt.

Brandschatzende Horden in den Straßen kratzten am Ordnungsbedürfnis vieler Deutscher. Ihrem autoritären Charakter folgend war es für die Mehrheit der Deutschen ein besserer Weg, die so genannte „Entjudung“ in behördlich organisierten Bahnen durchzuführen. „Wilde Arisierungen“, Plünderungen und der Mob in der Straße vermochten es, dass viele sich um den sozialen Zusammenhalt insgesamt Sorgen machten. Hier fanden die Bedürfnisse der Mehrheitsbevölkerung und das Interesse des NS-Staates zusammen: Das Gewaltmonopol des Staates sollte nicht angetastet werden. Dies sollte der Öffentlichkeit im Anschluss an die Novemberpogrome mitgeteilt werden. So hält der damalige Chef der Sicherheitspolizei, Reinhard Heydrich, in einem Bericht zu den Vorkommnissen der Reichspogromnacht fest: „In zahlreichen Städten haben sich Plünderungen ereignet. Es wurde, um weitere Plünderungen zu vermeiden, in allen Fällen scharf durchgegriffen.“ Es hat zwar vereinzelte Festnahmen im Rahmen der umfangreichen Plünderungen gegeben, diese waren jedoch eher symbolischer Natur. Für alle Handlungen, die trotz der erwünschten antisemitischen Übergriffe als Straftaten gewertet wurden – mit Ausnahme Verge-waltigungen -, erhielten die TäterInnen eine Amnestie. Die Botschaft, die an die Bevölkerung, aber auch an die unterschiedlichen Interessensgruppen innerhalb des NS-Apparates gerichtet wurde, war dennoch eindeutig: Die „Entjudung“ und der damit verbundene Raubzug werden unter die Oberaufsicht des Staates gestellt.

Der Logik folgernd handelte der Staat unmittelbar nach den Pogromen, die „Maßnahmen zur wirksamen legalen Ausschaltung der Juden aus der deutschen Wirtschaft“ wurden weitergeführt. Im Dezember 1938 schreibt Hermann Göring in einer Anordnung, die Übernahme jüdischer Betriebe und sonstiger Vermögenswerte habe auf „streng gesetzlicher Grundlage“ zu erfolgen. Es sind diese „Legalität“, die „Normalität“ und die „Rechtmäßigkeit“, mit der der Antisemitismus als Staatsziel in der Breite umgesetzt wurde, die den Nationalsozialismus und das Verhalten der Deutschen im NS in ihrer Qualität zeichnen. Die schrittweise Entrechtung der Jüdinnen und Juden, den Straßenterror gegen sie, den wirtschaftlichen Boykott und die antisemitische Hetze in der Öffentlichkeit haben alle Bevölkerungsteile in einer Großstadt wie Köln miterlebt. Unzählige haben sich gern und wissentlich an der „Arisierung“ jüdischen Eigentums beteiligt, indem sie sich ganz legal das Eigentum deportierter Jüdinnen und Juden, die sie nicht selten sogar persönlich kannten, bei Versteigerungen zu einem Spottpreis aneigneten. Dass die erworbenen Gegenstände jüdischer Herkunft waren, wurde zumeist auf den Rechnungsunterlagen vermerkt. In der Regel wussten die Neubesitzenden also über die Herkunft ihres so günstig erworbenen Neubesitzes. Zudem muss davon ausgegangen werden, dass die Gewissheit, dass die ehemals jüdischen Besitzerinnen und Besitzer nicht mehr wiederkehren und Rechenschaft für die durch „Arisierung“ erworbenen Besitztümer verlangen würden, bei den Käuferinnen und Käufern durchaus eine Rolle gespielt haben dürfte. Dementsprechend wurde das Thema Arisierung im postnazistischen Deutschland bislang nie umfassend thematisiert. Es eignet sich kaum, um den sozialpsychologischen Bedürfnissen der Mehrheit zu entsprechen. Diese enthalten die Tendenz, die Fragen nach Schuld und Beteiligung abzugrenzen und auf ein paar wenige Täter und Täterinnen, die als Fanatiker oder psychisch Kranke zum gesellschaftlich Anderen gemacht werden, zu richten.

Die Novemberpogrome von 1938 offenbaren das Ausmaß des organisierten Antisemitismus. Zunächst das Pogrom, die Zerstörung und Plünderung jüdischen Eigentums, der Terror gegen Individuen. Die Opfer werden in der Folge gezwungen, selbst die Schäden unverzüglich zu beseitigen und die Kosten zu tragen. Versicherungsleistungen wurden „zugunsten des Reichs“ beschlagnahmt. Zusätzlich werden von den Jüdinnen und Juden deutscher Staatsangehörigkeit unter Hermann Görings Führung 1,2 Milliarden Reichsmark als eine „Sühneleistung“ erpresst. Da Zehntausende verhaftet und verschleppt wurden, war es den meisten zusätzlich stark erschwert, die eigenen Interessen wahrzunehmen. Die Verhafteten mussten sogar für die Transportkosten im Rahmen ihrer Verhaftung aufkommen. So stellte zum Beispiel die Rhein-Sieg Eisenbahn Aktiengesellschaft den Verhafteten aus dem Großraum Köln je 0,65 Reichsmark in Rechnung und unterzeichnete die Rechnung: „Mit deutschen Gruß!“ Diese Kombination aus wahnhaftem Antisemitismus und zweckrationalen Anteilen, die sich vor allem in den staatlich überwachten räuberischen Exzessen äußerten, die bis in die Vernichtungslager penibel organisiert waren, war für den Nationalsozialismus ein wesentliches Merkmal.

Die Kontinuität und das Neue des Antisemitismus

Auch heute sind Jüdinnen und Juden von Antisemitismus bedroht. Die Hintergründe dafür, aber auch die Art und Weise, wie sich Antisemitismus äußert, sind sehr vielfältig und komplex. Wenn heute also von einem „Neuen Antisemitismus“ gesprochen werden muss, dann ist damit nicht nur ein Wiederaufflammen antisemitischer Einstellungsmuster und Übergriffe gemeint.

Die psychosoziale Betreuung war eingerichtet worden, nachdem Häftlinge mehrmals revoltiert hatten und ist somit als so genannte Befriedungsmaßnahme zu beurteilen. Die Arbeit der hauptamtlichen BetreuerInnen besteht demnach im Wesentlichen aus psychosozialer Beratung, also klassischer Sozialarbeit, zusätzlich werden Freizeitmaßnahmen wie Koch- oder Deutschkurse angeboten. Zur Zeit werden vier Menschen mit je einer halben Stelle beschäftigt, die alle schon für das DRK gearbeitet haben. Nach wie vor ist es den MitarbeiterInnen aber nicht erlaubt, rechtliche Hinweise oder Beratung zu geben sowie Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben.

Diese waren ohnehin immer ein Teil der Realität in Deutschland und konnten in der Vergangenheit bestenfalls erfolgreicher (aus der Öffentlichkeit) verdrängt werden. Das Neue am „Neuen Antisemitismus“ besteht auch darin, dass er mit anderen Subjekten und anderen ideologischen Anbindungen verknüpft wird. Antisemitismus findet sich nicht nur bei der (extremen) Rechten oder in rechts dominierten Diskursen.

Als „sekundärer Antisemitismus“ bedient er in breiten Teilen der deutschen Mehrheitsbevölkerung das sozial-psychologische Bedürfnis nach Erinnerungsabwehr und Entlastung von Scham und Schuld, die aus der Shoah rühren und die einer positiven Identifikation mit der deutschen Nation im Weg stehen. Der jüdische Arzt Zwi Rix hat dieses Phänomen treffend auf den Punkt gebracht mit seinem Ausspruch: „Auschwitz werden die Deutschen uns nie verzeihen.“

Als Re-Import aus der islamisch geprägten Welt findet Antisemitismus aber auch Anschluss an hier lebende Migrantinnen und Migranten. Und auch in der Linken lassen sich bei bestimmten personifizierenden Kapitalismus-„Analysen“ und vor allem bei kruden antizionistischen Positionen antisemitische Tendenzen feststellen. Wie immer sich Antisemitismus äußern mag, für die Betroffenen muss er nach Auschwitz als Vernichtungsdrohung aufgefasst werden. Ihnen gilt unsere Solidarität und unsere Unterstützung im Kampf gegen jede Form des Antisemitismus. Ein regionales Beispiel für die Arbeit der EHC ist die psychosoziale Betreuung auf dem Transitgelände des Düsseldorfer Flughafens, auf dem MigrantInnen 19 Tage lang festgehalten werden können bis sie einen Asylantrag stellen dürfen oder abgeschoben werden.

Bündnis zum Gedenken an die Opfer der Progromnacht 1938

Aktionstag gegen Überwachung

Unsere Idee ist, dass Gruppen und Einzelpersonen an diesem Tag Aktionen in der Stadt gegen alle Formen staatlicher und privatwirtschaftlicher Kontrolle und Überwachung machen. Die Einführung der Fingerabdrücke im Pass ab 1. November 2007 ist dabei nur ein Anlass. Hinzu kommen Maßnahmen wie Vorratsdatenspeicherung bei allen elektronischen Telekommunikationsmitteln, Onlinedurchsuchung von Computern, Einsatz der Bundeswehr zur Überwachung von DemonstrantInnen, RFID-Chips als Überwachungsmittel (z.B. in der Monatsfahrkarte der KVB), Videoüberwachung im öffentlichen und privaten Raum, Aufnahme weiterer biometrischer Daten in Ausweispapiere (Irisscan) vor allem bei MigrantInnen, Einführung der elektronischen „Gesundheitskarte“, DNA-Speicherung, usw..

Der digitalisierte Fingerabdruck
Ab dem 1. November 2007 werden auf dem RFID-Chip, der im Deckel der deutschen Pässe steckt, zwei Fingerabdrücke der PassinhaberInnen gespeichert. Dazu müssen alle, die einen neuen Pass beantragen, neben einem zur biometrischen Erkennung speziell erstellten Passbild auch zwei Fingerabdrücke einscannen lassen. Beide biometrische Erkennungsmerkmale (Gesichtskonturen und Fingerabdrücke) werden auf dem Chip gespeichert und bei Passkontrollen abgerufen. Zum Abgleich muss mensch an Kontrollstellen (z.B. Flughäfen) dann jedesmal wieder Fingerabdrücke und Gesicht durch Scanner ablichten lassen. Diese Prozedur mussten bisher nur Menschen über sich ergehen lassen, die als Verdächtige einer Straftat einer erkennungsdienstlichen Behandlung bei der Polizei ausgesetzt waren. Es ist das erste Mal, dass der Staat über den Pass die Fingerabdrücke fast aller BürgerInnen erfasst. Noch ist es nicht erlaubt, die Fingerabdrücke aller in zentralen Dateien zu speichern, wie es in Deutschland bereits seit längerem bei Menschen geschieht, die nicht die deutsche Staatsbürgerschaft haben. Doch die Einführung biometrischer Merkmale bei Personalausweisen ist geplant und folgt ab 2008. Und schon bei den Pässen wurde eine Speicherung in Dateien diskutiert. Die Übermittlung der Passbilder an Ordnungs- und Polizeibehörden wurde gerade erst erleichtert. Als Beispiel der schleichenden Ausweitung von Datenspeicherungen, die der Identifizierung dienen, ist die DNA-Speicherung zu nennen, die zuerst stark begrenzt heute immer häufiger durchgeführt wird und in Großbritannien inzwischen jedeN trifft, der/die nur einer Straftat verdächtigt wird. Die Speicherung der Fingerabdrücke in zentralen Dateien ist nur eine Frage der Zeit. Somit dienen sie dann nicht nur der Verifizierung der Ausweispapiere und der Identifizierung der InhaberInnen, sondern können auch zur Strafverfolgung und Überwachung genutzt werden.

Online-Durchsuchung
Mit der so genannten Online-Durchsuchung soll die Möglichkeit geschaffen werden, ohne Wissen der BesitzerInnen auf private Computer zugreifen zu können. Dies sieht ein Änderungsentwurf des Gesetzes über das Bundeskriminalamt vor, der nach Plänen von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble im Herbst dem Bundestag vorgelegt werden soll. Demnach kann die Spitze des BKA zur „Gefahrenabwehr“ einen auf drei Monate befristeten Antrag bei Gericht stellen. Zudem sind auf Antrag Verlängerungen um jeweils drei Monate möglich. Bei „Gefahr im Verzug“ soll die Ausspähung für bis zu drei Tage auch ohne Gerichtsbeschluss möglich sein. Während es auf Bundesebene noch keine Regelung gibt, ist die Online-Duchsuchung in einigen Bundesländern bereits Realität. So trat in Nordrhein-Westfalen zum 1. Januar 2007 das geänderte Verfassungsschutzgesetz in Kraft, das den Zugriff auf private Rechner ermöglicht. Gegen das Gesetz wurden mehrere Verfassungsbeschwerden eingereicht, mit denen sich das Bundesverfassungsgericht am 10. Oktober an einem ersten Verhandlungstermin befassen wird. Die geplante Online-Durchsuchung stellt einen massiven Eingriff in die Privatsphäre dar. Zudem diskutieren mehrere PolitikerInnen bereits jetzt über mögliche weitere Schritte, etwa über die präventive Speicherung von Dateien. Diese sollen dann erst nachträglich von einem Richter oder einer Richterin in die Kategorien „nicht privat“ und „privat“ (und somit nicht weiter zu untersuchen) aufgeteilt werden.

Vorratsdatenspeicherung
Mit der so genannten Vorratsdatenspeicherung sollen ab 1. Januar 2008 TelekommunikationsdienstanbieterInnen zur Speicherung von Verbindungsdaten für die Dauer von sechs Monaten gezwungen werden. Der entsprechende Gesetzesentwurf wurde bereits vom Bundeskabinett beschlossen und soll am 21. September im Bundestag beraten werden. Der Entwurf umfasst beispielsweise die an einem Telefonat beteiligten Nummern, sowie Datum, Dauer und Uhrzeit des Gesprächs. Bei Mobilfunkgesprächen soll zudem der Standort der anrufenden Person und die IMSI-Nummer (International Mobile Subscriber Identity), die jedem Handy eindeutig zugeordnet werden kann, gespeichert werden. Beim Surfen sind die IP-Adresse, der Anschluss, das Datum, die Dauer und die Uhrzeit der Verbindung betroffen. Außerdem sollen bei allen Mails die beteiligten Adressen sowie die Ein- und Ausgangsdaten gesammelt werden. Mit der Vorratsspeicherung werden ohne Verdachtsmomente von allen Personen Unmengen an Daten gespeichert, die für ein halbes Jahr abrufbar sind. Die Nutzung der Daten – etwa bei der Strafverfolgung – ist laut Gesetzentwurf zwar an den so genannten Richtervorbehalt gebunden, die Aushöhlung dieses Systems dürfte jedoch der nächste Schritt auf dem Weg zum Kontroll- und Überwachungsstaat sein, der alle Menschen unter Generalverdacht stellt. Dies zeigt unter anderem das Beispiel USA. Hier hat der Kongress Anfang August die Überwachung von Telefongesprächen teilweise von diesem Vorbehalt gelöst.

Kontroll- und Überwachungsgesellschaft
Der freie Bürger und die freie Bürgerin, die in der bürgerlichen Demokratie die Politik kontrollieren, sind eine Legende. Noch 1983 hat eine Kampagne gegen die Volkszählung zu einem Verfassungsgerichtsurteil geführt, das dem Datenschutz Verfassungsrang zusprach und jedem/jeder das Recht gab, grundsätzlich selbst über die eigenen Daten zu bestimmen. Heute leben wir in einer Welt, in der kein Schritt vor die Haustür gemacht oder elektronisch kommuniziert werden kann, ohne dass dies aufgezeichnet wird. Alle Menschen sind potenzielle StraftäterInnen und generell verdächtig. Ständig muss mensch seine Identität nachweisen und das unter Preisgabe der persönlichsten, nämlich seiner biometrischen Daten. Diese Daten sind dazu geeignet, den Anspruch auf Gleichheit aller Menschen zu beseitigen und eine lückenlose Überwachung durchzuführen. Mit Freiheit hat das nichts mehr zu tun. Die Gesamtheit der Datenerfassung aus sicherheits-, gesundheits-, steuer- und sozialpolitischen Bereichen zerstört jede Form von Demokratie, deren Grundprinzip, wenn nicht die Abschaffung von Herrschaft, dann doch wenigstens die Kontrolle des Staates durch die BürgerInnen sein muss. Realität ist die rasende Entwicklung zur totalen Überwachung und Kontrolle des/der Einzelnen und von gesellschaftlichen Gruppen. Angetrieben und beschleunigt wird dieses noch dadurch, dass die Entwicklung und Vermarktung von Überwachungs- und Kontrollmitteln ein Wirtschaftsfaktor ist, der riesige Wachstums- und Gewinnraten verspricht, nicht zuletzt, weil diese Produkte auch zur Rationalisierung der Arbeitswelt eingesetzt werden können. In diesen Monaten werden wir geradezu bombardiert von einer Fülle neuer Überwachungskompetenzen für den Staat. Die drei oben dargestellten Beispiele sind neben der Einführung einer zentralen Steuerdatei, in der alle BürgerInnen durchnummeriert werden, wohl die offensichtlichsten aktuellen Eingriffe in unsere Freiheit. Mit dem geplanten Aktionstag wollen wir auf den weiteren Freiheitsverlust aufmerksam machen, auch wenn uns bewusst ist, dass wir damit die Gesetze nicht verhindern werden. Das könnte nur eine Systemveränderung, für die es eine revolutionäre Situation geben müsste, die wir momentan nicht erkennen können. Doch Aufklärung kann ein Schritt zum Widerstand sein. Aktionen des zivilen Ungehorsams bis hin zu militantem Vorgehen gegen Überwachung und Kontrolle sind dabei wichtige die theoretische Aufklärung ergänzende Mittel.

kölner gruppe kontrollverlust

Ab 21 Uhr sind dann am 20.10. alle eingeladen, zur 10jährigen Jubiläumsparty des EA-Köln in die LC 36 (Hans-Böckler Platz) zu kommen. Der Eintritt ist frei und der Erlös aus dem Getränkeverkauf sowie alle Spenden gehen in den vom EA verwalteten kölner ProzessSoliFonds, aus dem linke AktivistInnen bei staatlicher Repression finanziell unterstützt werden können und der seit Jahren eine Ergänzung zur Roten Hilfe darstellt. Es legen drei DJs aus der kölner Linken Musik auf, während wir dann über die Aktionen, die den Tag über gelaufen sind, bei den üblichen LC-Getränken plaudern können.

Reden auf der Spontandemo „Solidarität mit Jacques!“

Rede 1

In der Nacht von Freitag auf Samstag, den 12 Januar 2008, geschah im Kölner Studentenviertel ein rassistischer Übergriff. Eine Gruppe von sieben Personen hat den kongolesischen Kölner Jacques zuerst als „Neger“ beschimpft und Ihn anschließend verprügelt. Rassismus ist nicht nur in Ostdeutschland ein alltägliches Problem für Menschen mit Migrationshintergrund.

Die Opfer von rassistischer oder faschistischer Gewalt gehören meist zu Gruppen, die auch von der Gesellschaft ausgegrenzt werden. Im Selbstverständnis neonazistischer und extrem rechter Jugendlicher setzen sie nur gewalttätig um, was von vielen gedacht wird. Dieser alltägliche Rassismus zeigt sich in Diskriminierungen und rassistischen Äußerungen im privaten Umfeld ebenso wie in den populistischen und fremdenfeindlichen Parolen von Politikern demokratischer Parteien. Vor allem im Rahmen von Wahlkämpfen tragen sie zu einer ausgrenzenden Stimmung bei. Es wird eine gesellschaftliche rassistische Grundstimmung gegen „Ausländer“ erzeugt, wie man an Kochs Wahlkampfhetze gegen junge MigrantInnen momentan wieder par excellance sehen kann.

Wer in den letzten 20 Jahren in der BRD groß geworden ist, hat ein Klima rigoroser Abschottung der Bundesrepublik und Europas erlebt, der Massenabschiebungen von Flüchtlingen und ihrer Ausgrenzung aus der Gesellschaft. Die Unterbringung in Lagern und Abschiebegefängnissen vermittelt den Eindruck, es handele sich um Kriminelle und nicht um Schutzsuchende.

Genau dies geschieht gerade in der Kölner Presselandschaft, wo Kölner Rundschau und Express das Opfer Jaqces durch eine suggestive Berichterstattung zu einen kriminellen und Gewalttäter umstempeln wollen, um das rassistische Tatmotiv der Angreifer in den Hintergrund treten lassen zu können.

Es ist kein Zufall, dass ein gesellschaftlicher Aufschrei über die tagtägliche Ungleichbehandlung und die rassistischen Übergriffen von Nazis oder anderen RassistInnen meistens ausbleiben. Nur selten wird überhaupt rassistische Gewalt öffentlich thematisiert. Zu sehr ist die Gesellschaft, die auf Ausbeutung und Unterdrückung basiert, durch Rassismus, Antisemitismus und Sexismus formiert.

Wir demonstrieren deswegen hier und heute nicht nur um allen Betroffenen von rassistischer Gewalt unsere Solidarität zu zeigen sonder auch um den rassistischen Konsens in der BRD samt seiner ganzen tödlich-fatalen Logik ein klares YA Basta! Entgegenzusetzen.

Rede 2

Vielen StudentInnen waren entsetzt über die rassistische Gewalttat letztes Wochenende und sehen in dieser geradezu einen Widerspruch zu angeblich weltoffenen humanistischen Universität. Gerade deswegen wollen wir an dieser Stelle kurz auf den studentischen Alltag eingehen und zeigen, dass Rassismus sehr wohl strukturiendes Element studentischen Alltags ist.

Fängt ein Student aus einem nicht europäischen Land an in NRW ein Studium aufzunehmen, hat er neben den Studiengebühren an einige Universitäten, ein so genanntes Betreuungsgeld zu zahlen, was jedoch keinerlei Gegenleistung beinhaltet. Zu dem dürfen Studenten aus den außer-europäischen Ländern nur begrenzt arbeiten und haben keinerlei Anspruch auf Bafög oder andere Sozial-Leistungen. So wundert es kaum, dass so gut wie keine AfrikanerInnen an deutschen Universitäten studieren. Im Studium selbst dürfen sich die wenigen, die es doch noch geschafft haben, trotz aller so genannter kritischer Theorie und postmoderner Zeitgenössigkeit häufig genug mit eurozentristischen, ja zum teil rassistischen Lehrinhalten auseinandersetzen.

Auch bei der Suche nach Wohnmöglichkeiten haben StudentInnen aus vor allem nicht europäischen Ländern besondere Diskriminierungen zu erfahren. So gibt es mehrer Straßenzüge in Köln in denen die Vermieter per se keine Schwarze einziehen lassen. Zum Beispiel im Studenten Dorf Hürth Efferen gibt es Zeit Jahren eine inoffizielle Ausländerquote mit der Studentenwerksmitarbeiter ausländische KollegInnen erpressen, ohne dass sich im Studentendorf gegen diese Praxis jemals ein Widerstand entfaltet hätte. Ausländische Studierende wird die Möglichkeit einer finanziellen Selbstversorgung verunmöglicht und gleichzeitig aus rassistischen Gründen Ihnen billiger und guter Wohnraum verwehrt.

Auch bei der Abendgestaltung sind ausländische StudentInnen häufig genug mit Rassismus konfrontiert. So ist es schon häufiger in der Studentdisko „Das Ding“ vorgekommen, das Menschen wegen ihrer Hautfarbe nicht hineingelassen wurden. Auch der als links-alternativ bekannte Veranstaltungsort „Underground“ hat schon häufiger Menschen mit dunklerer Hautfarbe abgewiesen, so dass einen nicht wirklich wundern kann, dass vor drei Wochen ein Türsteher des Underground sogar die Naziklamottenmarke Thor Steinar trug.

Rassismus ist auch in der Universität und im studentischen Alltag allgegenwärtig. Die Rassistische Gewalt ist insofern nur die radikale Zuspitzung eines an sich schon unerträglichen Dauerzustandes. Darum heißt die Gegenwehr gegen rassistische Gewalt auch alle Institutionen und Strukturen einzureißen, die diese erst ermöglichen.