Zwei vermummte, welche die Faust heben, im Hintergrund brennts. (von Itsgoingdown.org)

„The Revolution has been televised“

…ein Aufruf zur Beteiligung an der aktuellen Bewegung

“When you talk about a revolution, most people think violence, without realizing that the real content of any kind of revolutionary thrust lies in the principles, in the goal that you’re striving for, not in the way you reach them.”
–Angela DavisÜbersetzung

Vor 3 Wochen wurde der Afroamerikaner George Floyd brutal durch Polizeibeamte ermordet. Seitdem breitet sich eine antirassistische Protestwelle gegen Polizeigewalt und White Supremacy (dt. weiße Vorherrschaft) aus, die international aufgegriffen wird. In Frankreich, England, Brasilien, Tschechien, Kanada aber auch in Deutschland gehen mitten in der Pandemie massenhaft von Rassismus Betroffene und solidarische Menschen auf die Straße. In den verschiedenen Staaten, in denen es zu Protesten kommt, gibt es unterschiedliche gesellschaftliche Ausgangslagen, aus denen die Aufstände erwachsen. Aktivismus weißer Linker muss sich hierbei solidarisch zu den kämpfenden Organisationen und Bewegungen schwarzer Menschen und PoC verhalten und deren Speerspitzen-Rolle im antirassistischen Kampf anerkennen. Wir sind Kommunist*innen aus Deutschland, die an den Protesten in Köln teilgenommen haben und möchten im Folgenden einige Analysen und Thesen zur aktuellen #BlackLivesMatter-Bewegung vorstellen.

#BlackLivesMatter ist ein revolutionäres Aufbegehren gegen Rassismus

In den USA machen Schwarze Menschen 13% der Gesamtbevölkerung aus, aber gleichzeitig 33% der Corona-Patient*innen, die in Krankenhäusern behandelt werden müssen. Sie leiden deutlich häufiger unter armutsbedingten Vorerkrankungen, wie Diabetes und erhalten eine deutlich schlechtere Krankenversorgung, da sie deutlich häufiger von wirtschaftlicher Armut betroffen sind. Schwarze Menschen werden mehr als doppelt so häufig Opfer des Mordes durch Polizist*innen als Weiße. Der Mord an George Floyd war gewiss kein Einzelfall, sondern der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Die massive Wut, die aktuell überall entbrennt, macht diese brutalen Fakten lediglich sichtbar. Die Bilder der Riots und der Plünderungen in den USA sind keineswegs erschreckend, wie von bürgerlichen Medien postuliert, sondern sind Ausdruck der Notwendigkeit einer Umwälzung des mörderischen Status Quo. Es könnte ein Leben lang geplündert werden; dies würde nicht ersetzen, was der Kapitalismus stahl.

#BlackLivesMatter ist praktischer Bullenhass und antikoloniale Power

Menschenmenge welche die Statue des Sklavenhändlers Edward Colston in den Fluss schmeißtDie Bewegung hat bereits einige Erfolge zu verbuchen. 54% Zustimmung für das brennende Polizeipräsidium in Minneapolis sprechen eine eigene Sprache. Nun soll die dortige Polizeibehörde aufgelöst werden. Weltweit haben die #BlackLivesMatter Proteste dafür gesorgt, dass es kolonialen Denkmälern der Sklavereiverherrlichung an den Kragen geht, wie in Bristol und Brüssel. Ohne die weitreichende Massenmilitanz wären diese Erfolge nicht zu denken gewesen. Keine Petition hatte dies vorher erreicht. In Deutschland wurde bisher kein Denkmal angegangen. Einige einflussreiche Sprechfiguren der Politik externalisieren das Problem: es sei ein amerikanisches Phänomen. Der frühere Unionsfraktionschef Friedrich Merz behauptet, es gäbe keinen latenten Rassismus bei der Polizei. Die Fakten sprechen eine andere Sprache: seit 1990 sind in Deutschland mindestens 159 People of Colour und Schwarze Menschen in polizeilichem Gewahrsam ums Leben gekommen. Der rassistische Terror geht dabei nicht nur vom Staat aus, sondern auch von Rassist*innen und Faschist*innen die seit 1990 mindestens 209 Menschen ermordeten. In Deutschland ist Rassismus überall präsent. Die Herrschenden tun alles dafür, damit er für die Mehrheitsgesellschaft ignorierbar bleibt – Zum mörderischen Nachteil der von Rassismus Betroffenen.

#BlackLivesMatter stellt den Staat des Kapitals in Frage

Ohne Rassismus wäre kein „Klassenvertrags“-Wohlfahrtsstaat denkbar. Menschen in den ehemaligen Kolonien könnten nicht im aktuellen Ausmaß ausgebeutet werden, wenn sie nicht durch Rassismus entmenschlicht würden. Migrantischen Arbeiter*innen könnten ohne ihn nicht die Drecksjobs zugewiesen werden, die weiße Deutsche ohne Migrationsgeschichte nicht mehr machen wollen. Der deutsche Standort könnte nicht jedem Warlord und Diktator Waffen verkaufen, wenn die Grenzen nicht mit Beton- und Stacheldraht gewordenen, rassistischen Vorstellungen abgesichert würden.
Durch die Internationalisierung der Proteste werden drei Dinge deutlich: Rassismus und Kapitalismus sind untrennbar miteinander verknüpft. Rassistische Mehrausbeutung läuft nur mit sozialer Befriedung und Klassenvertrag. Der bürgerliche Staat spielt hierbei eine zentrale Rolle: Er sichert den kapitalistischen Normalzustand ab, und damit auch zwangsläufig den Rassismus, der ihn trägt und ihn formt. Deshalb geraten er und sein Personal nun angesichts der Internationalisierung der vielerorts anhaltenden Aufstände ins Wanken. Die Aufstände greifen, wenn sie den systemischen Rassismus angehen, zwingend das ganze System an. Bürgerliche Freiheiten lassen die Herrschenden nur gelten, wenn die sozialen Bewegungen sich in den Status Quo integrieren lassen. Und: Wo Verständnis in einem anderen Land über den Protest geäußert wird, ist er doch meistens unliebsam, sobald es an das eigene Herrschaftsgebilde geht und es nicht friedlich bleibt. Die erneuten Proteste in Atlanta machen aber auch deutlich, dass der Staat zwar versuchen kann, seine Insass*innen mit Reformen zu befrieden und zeitgleich unter Einsatz des Militärs den Aufstand bekämpft, jedoch auch massiv Gegenwind durch die Internationalisierung der Proteste bekommt. Ob Trump, Bolsonaro, Macron oder Johnson: Sie bekommen aktuell ordentlich Feuer unterm Hintern.

Soziale Bewegungen sind spontan und konkret

Die letzten sozialen Bewegungen hatten einen subjektiven Faktor und lebten von Spontanität, was für ihren rasanten Wachstum sorgte: ob die Schüler*innen von Fridays for Future, die die Auswirkungen der Klimakatastrophe zu ihren Lebzeiten noch deutlich zu spüren bekommen werden, als auch die Frauenbewegung, die weltweit die systematische doppelte Ausbeutung der Vergeschlechtlichung im Kapitalismus angreift, oder eben die BLM-Bewegung, die die tagtägliche mörderische Bedrohung schwarzer Menschen sichtbar macht. Soziale Bewegungen greifen die Widersprüche konkret auf und an: Ob rassistische Polizeigewalt, patriarchale und sexuelle Ausbeutung oder die Klimakatastrophe. Der Kampf ums Ganze ist nur durch die Ausweitung der Kämpfe zu haben. Wo systematische Unterdrückung durch Herrschaft zum Problem Einzelner oder bestimmter Gruppen gemacht wird, winkt der sog. „progressive neoliberalism“ mit Quoten und lächerlichen Reformen wie BodyCams zur Befriedigung der staatlichen Insass*innen. Revolutionäre Antworten auf die Krise sprechen nicht von Einzeltäter*innen und Umverteilungen. Mit #DefundThePolice wird die Polizei als Institution in Frage gestellt. Währenddessen wurde in Hamburg und Berlin schnell deutlich, wie mit dem kleinsten Fünkchen Widerstand gegen Polizeibeamte umgegangen wird. Rassistische Strukturen und Institutionen, als auch koloniale Kontinuitäten müssen wir dort angreifen, wo wir leben und kämpfen. In anderen Worten: das Kapital und die Gewalttäter*innen entmachten und die Reichen enteignen.

Schwarze Kultur ist ein Mittel des revolutionären Aufbegehrens

#BlackLivesMatter speist sich aus den antikolonialen Kämpfen der Black Power Bewegung. Schwarze Kultur spielt hierbei eine zentrale Rolle, die wiederum aus einer widerständigen Tradition kommt und Fragen nach gesellschaftlicher Repräsentation und Teilhabe radikal von unten stellt, gleichzeitig aber eine recht hohe Popularität erlangt hat. Ohne diese Popularität hätte sich die Protestwelle nicht so schnell internationalisieren können. In der deutschen Öffentlichkeit und der deutschen Linken ist schwarze Kultur, genau wie das Wissen um die Kämpfe von Bewegungen und Organisationen, marginalisiert. Häufig werden schwarze Stimmen überhört, oder ihres kritischen Stachels entledigt. Afrodeutsche Kommunist*innen, wie der Widerstandkämpfer Hilarius Gilges, der 1933 durch die Nazis brutal in Düsseldorf ermordet wurde, oder der Partisanenkämpfer Carlos Grevkey, der ebenfalls von Nazis ermordet wurde, haben in der antifaschistischen deutschen Linken keinen hohen Bekanntheitsgrad. Diese Feststellung ist als Kritik an uns selbst, als Teil dieser Bewegung, gerichtet.

#BlackLivesMatter ist die Fortsetzung des Black Power Movements

Ausschnitt aus der Zeitung der Black Panther mit Huey P Newton und Bobby SealeRassismus wird als Problem und über verschiedene politische Lager hinweg als strukturelle Gewalt gehandelt. Selbst Horst Seehofer und Konsorten sagen: Wir haben ein Rassismusproblem. Dies könnte als diskursiver Sieg rassismuskritischer Interventionen verbucht werden. Das Problem ist: den berechtigten Fragen nach Repräsentation schwarzer Menschen und PoC fehlt, sobald sie vom Congress, dem EU-Parlament und dem Bundestag aufgegriffen werden, der Klassenstandpunkt. Intersektionale Forschungs- und Theorieansätze sind durch ihre bereits erfolgte Aneignung durch die bürgerlich akademische Sphäre sehr anfällig, gegen das gewendet zu werden, wogegen sie ankämpfen. Die Erkenntnis, dass anhand der Kategorien Race, Class, Gender viele soziale Konflikte und Ungerechtigkeiten unserer Zeit gedeutet werden können, stellt sie noch nicht zwangsläufig in den Konflikt mit dem Kapitalverhältnis. Im Gegensatz dazu steht die Auffassung die Überwindung kapitalistischer Herrschaft anzustreben, welche sich durch das Klassenverhältnis, Rassismus und Geschlechterverhältnisse ausdrückt. Der Unterschied liegt darin, dass im Vergleich zu diversitätsorientierten und rassismuskritischen Ansätzen der Kapitalismus als Ganzes angeprangert wird. Rassismus und Geschlechterverhältnisse stellen hierbei keineswegs den Nebenwiderspruch zum Klassenverhältnis dar. Sie sind historisch eng miteinander verbunden und können nur durcheinander und miteinander verwoben erscheinen. Dadurch unterscheidet sich diese Theorie durch zwei zentrale Merkmale von bürgerlichen Theorien: Sie hat eine marxistische Grundlage, auf der sie argumentiert. D.h. sie geht über die Kategorisierung der Ungleichheiten hinaus. Zweitens zielt insbesondere die Theorie der Triple Oppression in Abgrenzung zu akademischen intersektionalen Theorieansätzen auf die revolutionäre Überwindung des Kapitalismus ab. Oder, um es mit Bobby Seales (Black Panther Party) Worten zu sagen:

„We are an organisation that represents black people and many white radicals relate to this and unterstand that the Black Panther Party is a righteous revolutionary front against this racist decadent, capitalistic system. Our organisation doesn’t have any white people as members. If a white man in a radical group wants to give me some guns, I’ll take them. I’m not going to refuse them because he’s white.“
Übersetzung

Die Wahrheit ist immer konkret

Bismarck Statue mit roter Farbe beschmiertWenn wir als Linke unseren Beitrag zur BLM-Bewegung beitragen wollen, müssen wir praktisch und lokal eingreifen. Für Köln wäre ein minimaler Maßnahmenkatalog die Abschaffung des Konstrukts der „gefährlichen Orte“, wie der Domplatte und dem Ebertplatz, ein Ende rassistischer Polizeikontrollen, #GerechtigkeitfürKrys, Herkesin Meydani – ein Mahnmal in die Keupstraße, die private Unterbringung von Geflüchteten und Tauchstation für die beiden Kaiser Wilhelm Statuen. Bundesweit die Entwaffnung der Polizei, die Rückgabe kolonialer Raubgüter, sofortigen Schuldenschnitt und Reparationszahlungen für ehemalige Kolonien Deutschlands, eine Aufarbeitung der Verwicklung deutscher Schiffsbauer und Finanzhäuser in den Sklavenhandel und die Evakuierung aller Lager. Wer vom Kolonialismus nicht reden will, sollte auch vom Kapitalismus schweigen.


Angela Davis: „Wenn man von einer Revolution spricht, denken die meisten Menschen an Gewalt, ohne zu erkennen, dass der wahre Inhalt jeder Art von revolutionärem Vorstoß in den Prinzipien liegt, in dem Ziel, das man anstrebt, und nicht in der Art und Weise, wie man es erreicht.“

Bobby Seals: „Wir sind eine Organisation, die Schwarze vertritt, und viele weiße Radikale beziehen sich darauf und verstehen, dass die Black Panther Party eine rechtschaffene revolutionäre Front gegen dieses rassistisch-dekadente, kapitalistische System ist. Unsere Organisation hat keine Weißen als Mitglieder. Wenn ein Weißer aus einer radikalen Gruppe mir ein paar Waffen geben will, nehme ich sie. Ich werde sie nicht ablehnen, nur weil er weiß ist.“