Wir dokumentieren im Folgenden unseren Redebeitrag den wir am 11.5.2020 auf der Kundgebung „Grundrechte für alle – Gegen Verschwörungstheorien“ gehalten haben. Weitere Argumente gegen Verschwörungsideologen und die „Corona-Rebellen“ gegen die findet ihr im neuen NIKA-Info gegen Verschwörungstheorien.
Liebe Genoss*innen, liebe Antifaschist*innen,
wir haben uns hier unter dem Motto „Grundrechte für alle – Gegen Verschwörungstheorien“ versammelt.
Nach über 8 Wochen Lockdown und Einschneidung der Grundrechte unter staatlich verordnetem Infektionsschutz, versammeln sich wieder Menschen zu tausenden in Stuttgart, Berlin, aber seit ein paar Wochen auch in Köln und anderen Städten. Die Zusammensetzung dieser sog. Hygienedemos bilden einen klassenübergreifenden Zusammenschluss aus Liberalen bis hin zu Neonazis. Dazwischen tummeln sich Impfgegner*innen, Hippies und Anhänger des veganen, wahnsinnigen Influencers Attila Hildmann, der laut eigener Aussage eine Kugel in den Kopf kassieren würde, um seine bürgerlichen Freiheitsrechte zu verteidigen. Wir wünschen ihm viel Erfolg dabei.
Der große Knall ist aber bisher ausgeblieben. Wir erinnern uns an leergekaufte Regale und Klopapiernotstand. Da das Massensterben in Deutschland bisher noch nicht eingetreten ist, das Gesundheitssystem vorerst nicht kollabiert ist, scheint die vermeintlich logische Folge für viele zu sein, es handle sich um die sog. „Corona-Lüge“. Das Corona-Virus sei nicht gefährlicher als eine „normale Grippe“. Wobei auch hier interessant wäre zu fragen, ob es vielleicht nicht auch angebracht ist, bei „normalen“ Grippe-Wellen mal zu überlegen, ob der Tod von zigtausenden Menschen wirklich notwendig ist?
Während einige Teilnehmer*innen der Anti-Lockdown Proteste blind gegenüber der Herrschaft des Kapitals und überaus empfänglich für jedwede Art antisemitischer Verschwörungstheorien sind, freut sich das von Abstiegsängsten gezeichnete Kleinbürgertum, Faschisten und das deutsche Kapital gleichermaßen über Zustimmung. Sie werden auch weiterhin im Sinne der Standortlogik ihre Privilegien verteidigen. Der Schritt zur nationalen Kollektivierung findet genau jetzt statt.
Eine antifaschistische und sozialrevolutionäre Position zur aktuellen Gemengelage muss hingegen herausstellen, dass Regierungen – ob demokratisch gewählt oder autoritär durchgesetzt – niemals eine Vertretung der Lohnabhängigen und Marginalisierten darstellen können. Was bringt ihnen eine Gesellschaft, in der die Einen den Mehrwert produzieren und die Anderen ihn abschöpfen?
Sicher ist: Die deutsche Regierung handelt nicht im Interesse der Geflüchteten, die unter unmenschlichen Bedingungen in Lagern leben müssen und dem Virus ausgeliefert sind. Die deutsche Regierung handelt auch nicht im Interesse der Beschäftigten im Care Sektor, die dank eines kaputtgesparten Gesundheitssystems 12-Stunden-Schichten arbeiten und mit einem Epidemiegesetz zur Arbeit verpflichtet werden. Aber diese Regierung ist auch keine Marionette des Kapitals oder des tiefen Staates, wie es Verschwörungstheoretiker*innen behaupten. Vielmehr ist ihr Interesse die Aufrechterhaltung des kapitalistischen Normalbetriebs, oder besser: die allgemeine Akzeptanz der neuen Normalität in der Corona-Krise.
Es ist einfach aufzuzeigen, wo die Verschwörungstheorien falsch liegen. Das erledigt die bürgerliche Öffentlichkeit ganz gut alleine. Und nur nebenbei: Verschiedenste Lobbyverbände der verarbeitenden Industrie erzählten die gleichen Märchen und verharmlosten die Gefahr durch die Krankheit, bis klassenbewusste Aktionen die Produktion ihrer Ausbeutungsbetriebe stilllegten. Und hier kommen wir zum „ideellen Gesamtkapitalisten“: Zu Beginn der Epidemie im Januar 2020 haben die Regierungen versucht, so lange wie möglich die Gefahr des Virus nicht wahrzunehmen. Konfrontiert mit der Unabwägbarkeit wer, wann, für wie lange die Mehrwertproduktion lahmlegen muss, entschieden sich unterschiedlichste Regierungen für die gleiche Maßnahme: die Kontaktreduktion. Nicht zuletzt aufgrund der Reaktionen der internationalen Klasse, die mit Streiks eben nicht nur die Kontaktreduktion durchsetzten, sondern damit auch massiv in die Kapitalakkumulation eingriffen.
Das Bild, das sich nun aktuell auf den sog. Hygienedemos zeigt, ist ein diffuses. Wir erleben aktuell eine Diskurswende innerhalb von zwei bis drei Wochen. Wo Rechte wie Michael Brück vor ein paar Wochen noch Schutzmasken für die Nazi-Omas verteilten, tummelt sich nun die Dortmunder Naziprominenz beim Anti-Lockdown-Protest. Rufen wir uns die Debatte von Ende März nochmal in den Kopf: Die Speerspitze gegen den Lockdown bildeten die Kapitalfraktionen aus großen Firmen, ob Amazon oder Ferrari, die zu keiner Sekunde Menschenleben vor Profite stellten. Wer nun bei den Hygienedemos seine falsche Freiheit einfordert, ist weniger ein Rebell, als ein nützlicher Handlanger des Kapitals. Rückendeckung bekamen die Lockdowngegner global von rechten Amtsinhabern, wie Bolsonaro oder Trump. Hier zu Lande waren es Laschet (CDU) oder Christian Lindner (FDP), die die Lockerung der Maßnahmen forderten. Mit dieser Agenda haben sie wieder einmal den Faschisten in Nadelstreifen den Boden geebnet, die nun alles daran setzen werden, die Proteste für sich deutsch-national zu wenden.
Die Bundesregierung, wie auch die bundesdeutsche Öffentlichkeit debattieren fleißig orakelnd über Ansteckungsrisiken. Dabei finden auch offensichtlich sozialdarwinistische Lösungen, wie der Vorschlag von Boris Palmer (Grüne), die Alten doch einfach sterben zu lassen, weil sie zu keinem Mehrwert beitragen, offene Ohren. Und Wolfgang Kubicki (FDP) meint, wer Angst habe (d.h. alt oder krank sei), solle doch einfach zu Hause bleiben. Bemerkenswert an solchen Äußerungen ist vor allem, dass die Orientierung am Profit, nicht an der Gesundheit der Menschen, die verschiedenen politischen Lager verbindet.
Wir müssen deshalb jetzt aktiv werden: Wir treten ein für mehr Menschlichkeit. Wir treten ein für Rücksicht auf besonders gefährdete Gruppen. Und wir zeigen klar, dass das in dieser Produktionslogik nicht vorgesehen ist. Wer sagt Verschwörungstheorie statt Gesellschaftskritik, sagt Friseurbesuch statt Lebensrecht.