Der Einzeltäter, der keiner ist. Analysen zur aktuellen Dimension faschistischen Terrors im Rechtsruck

Am vergangenen Mittwoch machte sich ein neonazistischer Attentäter auf, um jüdische Mitmenschen zu ermorden. Während die jüdischen Gemeinden den höchsten Feiertag Yom Kippur begingen, versuchte sich der Täter Zugang zur Synagoge in Halle zu verschaffen. Er wurde nicht aufgehalten von der Polizei, sondern von den glücklicherweise ausreichenden Sicherheitsvorkehrungen, die die jüdische Gemeinde selbst getroffen hatte. Die schusssichere Tür hielt ihn davon ab, die Ziele seines mörderischen Hass zu erreichen. Er ermordete stattdessen eine Frau, die ihm zufällig vor der Tür der Synagoge begegnete- die vierzigjährige Jana L.. Danach machte er sich zu einem Ort auf, der in seinem rassistischen Weltbild sinnbildlich für Migrant*innen stand – einen Dönerimbiss. Dort erschoss er den zwanzigjährigen Kevin S., der hinter Getränkekühlschränken versuchte Schutz zu finden. Der brutale Amoklauf erhält eine zusätzliche absurde Dimension: dazu zählen die unkoordinierte Ziellosigkeit des Täters und seine Wortwahl, die dem Internet-Incel-Jargon entstammen. Das Attentat von Christchurch wies ähnlich absurde und brutale Dimension auf. Diese aktuellen Erscheinungsformen sind Teil rechter Ideologie.

Der gesellschaftliche Rechtsruck geht mit einer brutalen Normalisierung ebendieser Ideologie einher. Dass bewirkt eben nicht nur, das rassistische Ressentiments als berechtigte Sorgen von Bürger*innen diskutiert und anerkannt werden. Dass nationale Grenzen mit mörderischer Konsequenz gegen Geflüchtete geschlossen werden. Es bewirkt auch, dass extrem autoritäre Charaktere, wie der Rechtsterrorist von Halle in zweierlei Hinsicht zu sich selbst kommen: Erstens finden sie die Stichworte ihrer eigenen, ihnen zunächst nicht bewussten Ideologie ausbuchstabiert und omnipräsent in der Gesellschaft vor. Sie wird ihnen sozusagen von den völkischen Demagog*innen frei Haus serviert. Ihr Vernichtungswille, den sie aufgrund ihrer narzisstischen Kränkung empfinden richtet sich auf die zum Angriff frei gegebenen Ziele . Zweitens realisieren sie in diesem Prozess, dass sie Faschist*innen sind – was in ihrer Charakterstruktur bereits angelegt war, wird ihnen nun klar und zum mörderischen Auftrag, an dessen Erfüllung sie sich machen.

Leidet das Subjekt jederzeit in der Gesellschaft des Kapitalismus, weil es um jeden Bedarf, den es hat, mit den anderen vereinzelten Individuen grimmig konkurrieren muss, so findet es in einer Gesellschaft, in der faschistische Ideologie omnipräsent ist, die Möglichkeit und Legitimation, in mörderischer Art und Weise loszuschlagen. Das Prinzip der Unterwerfung unter die Autorität ist ein Mechanismus, der bereits verschiedene Gesellschaften überlebt hat. In  der kapitalistischen Gesellschaft bilden sich bereits die Anlagen zum Umschwung in die faschistische. Bereits in der spätkapitalistischen Gesellschaft, in der faschistische Ideologien allgegenwärtig sind, zeigt sich dann das erschreckende, von Vernichtungsphantasien getriebene Ausmaß dieser Ideologie. Dies ist nur möglich durch die fleißige Vorarbeit von AfD und Konsorten. Der Attentäter von Halle kann daher in keinem Sinne als Einzeltäter bezeichnet werden: Weder agieren Täter wie er ohne die Unterstützung von neonazistischen Netzwerken, noch wären deren Taten denkbar ohne die allgegenwärtige faschistische Propaganda. Der rechtsterroristische Amokläufer, dessen Tat als brutale Vernichtung schon immer protofaschistisch war, findet im Rechtsruck zu seiner wahren Form. Amokläufer gab es schon vor dem Rechtsruck, aber die heutigen schreiben Manifeste. Sie inszenieren ihre Tat. Und sie wählen ihre Opfer entlang faschistischer Konfliktlinien aus: Es sind Jüd*innen, People of Color, Migrant*innen, Frauen* und Trans*- und Homosexuelle.

Das rechtsterroristische Attentat in Halle hat noch eine weitere Dimension. Es ist ebenso als Ausdruck brutaler patriarchaler Herrschaft zu verstehen. Die Mörder sind oft junge Männer. Männer, die in allen bisherigen Gesellschaften jene sind, die das Prinzip der Autorität verinnerlichen und Herrschaft ausüben, indem sie sich selbst diesem Prinzip unterwerfen. Es entsteht eine toxische Männerrolle, die von der Gesellschaft gefordert wird und der viele nicht standhalten können. Sie sind sozial unerfolgreich, vereinsamen und suchen ihr Heil in der Vereinzelung. Doch anstatt den Druck progressiv aufzuarbeiten und über den zerstörerischen Gehalt der ihnen auferlegten Wertesysteme zu reflektieren, entscheiden sie sich, den faschistischen Weg zu gehen. Um doch noch zum „richtigen Mann“ zu werden, zum Übermenschen, der Volk, Nation und Vaterland beschützt, werden sie zum Mörder. Die Vernichtung des als unwert markierten Lebens soll die Erlösung bieten. Der faschistische Mordanschlag ist auch der ultimative Akt toxischer Männlichkeit.

Für diejenigen, die sich schon für die faschistische Mobilisierung entschieden haben, ist es zu spät. Mit ihnen gibt es keinen Dialog, sie müssen mit allen gebotenen Mitteln aufgehalten werden. Es ist jedoch die Aufgabe einer revolutionären Linken, eine Gesellschaft zu errichten, in der Individuen nicht mehr um jedes ihrer Bedürfnisse mörderisch konkurrieren müssen. Der bürgerlich kapitalistischen Gesellschaft ist es offenbar nicht auszutreiben, immer wieder faschistische Ideologie mit mörderischen Konsequenzen hervorzubringen. Bräuchte es neben deren brutaler Ungleichheit, Krieg und Ressourcenzerstörung noch ein letztes Argument, um ihr eine Absage zu erteilen: dieses sollte es sein, wenn man den eigenen moralischen Standards in irgendeiner Form glaubt.

Für einen ernstgemeinten Antifaschismus, der an der Seite jene*r erinnert und kämpft, die täglich durch den Faschismus bedroht sind und immer noch nicht aufgegeben haben.