AG „Just Do It“ des Antifa AK Köln
Fünf Jahre nach Einbruch der Finanzkrise, nach den Aufständen im arabischen Raum, nach erbitterten Abwehrkämpfen in Europa gegen dramatische Verschlechterungen der Lebensund Arbeitsbedingungen, regen sich auch in der deutschen Linken wieder Debatten um die Krise. Es scheint offensichtlich zu werden, dass Teilbereichskämpfe in und gegen die Produktionsund Reproduktions-Sphäre nicht im Stande sind, den von der Troika (EZB, EU, IWF) verordneten Sparplänen Paroli zu bieten. Durch diese Erfahrung sind in den letzten Jahren verschiedenste Bewegungen aufgetreten, die nach einer gemeinsamen, gegenseitigen Bezugnahme der Kämpfe suchen. Diese transnationalen Bewegungen – ob „Occupy“ oder Arabischer Frühling – sind Beleg dafür, wie aufeinander bezogene Aktionen weitere Resonanzen entfesseln und die tradierten Vorstellungen vom politischen Terrain (die jeweilige „eigene“ Nation, der zugeordnete Verwertungsraum im Weltsystem) zumindest ideell sprengen.
Jedoch teilen die diversen Bewegungen die gleiche Problematik. Die gemeinsamen Artikulationsversuche verbleiben in Unbestimmtheit und leeren Abstraktionen. Zugleich geistert eine Ahnung von der Möglichkeit kollektiver Handlungsmacht durch viele Kämpfe. Gegen diese Idee des Aufstandes agitieren, in „der europäischen Linken“, die Vertreter des Staatsidealismus, in zwei sich gegenseitig bedingenden Polen: Die eine Richtung besagt, dass die sozialen Kämpfe nur auf einer „moralischen Grundlage“ zur Gestaltungsgröße in der Politik avancieren könnten. Gegen das aktuelle EURO-pa der Sparprogramme solle die „Idee Europa“ stark gemacht werden, und als gemeinsamer Nenner der verschiedenen Kämpfe dienen. Die andere Richtung tritt für die Politik ein, die angeblich von „bösen Gestalten“ (Banksters) ihrer wahren Kraft beraubt wurde. Für sie erscheint als Ziel der Kämpfe nur die Konstitution einer souveränen Herrschaft, die dann als Bezugsund Handlungsrahmen überhaupt erst die Möglichkeit einer sozialen Reformierung der Gesellschaft ermögliche. Im Folgenden werden wir zunächst unsere Kritik an beiden Richtungen entfalten und versuchen, ihre reaktionäre Rolle in der gegenwärtigen Diskussion um ein Programm der sozialen Offensive kurz darzustellen. Im Anschluss werden wir aus der Kritik an Staat und Kapital eine weitere Stoßrichtung für die soziale Revolte ableiten und zur Debatte stellen: Diesen Ansatz nennen wir den internationalen Antinationalismus.
Die „Idee Europa“ gegen EURO-pa
Ob in Schule, Universität oder in linken Feuilletons – die „Idee Europa“ ist eine heilige Kuh. Gerade in Zeiten von Krieg und Krisen wird Sie zur Berufungsinstanz erkoren. Der deutsche Philosoph Georg Simmel verstand in Mitten des ersten Weltkrieges genau, was es mit dieser Berufung auf die „Idee Europa“ auf sich hat und wogegen sie steht: „Die internationale Gesinnung und Wesensart […] ist ein durchaus sekundäres Gebilde,[…] und ein Feind des wurzeleigenen nationalen Wesens. Das Europäertum dagegen ist eine Idee, etwas durchaus Primäres, nicht durch Zusammensetzung oder Abstraktion erreichbar – gleichviel wie spät es auch als historische Macht auftauche. Es steht nicht zwischen den Nationen, sondern jenseits ihrer und ist deshalb mit jedem einzelnen nationalen Leben ohne weiteres verbindbar.“
Jenseits der für Nationalisten üblichen spekulativen Suche nach Differenz und Gemeinsamkeit von nationalen Identitäten erkennt Simmel in der „Idee Europa“ gerade den Nutzen, die eigene Nation gegen „den Virus“ eines um sich greifenden Internationalismus der ArbeiterInnenbewegung zu impfen. Auch heute spielt die „Idee Europa“ unter anderem diese Funktion. Zum andern besitzt die „Idee Europa“ in ihrer „Idealität“ auch in Hinblick auf die ideologische Krisenverarbeitung einen Nutzen. Der preußische Staatsphilosoph Hegel schrieb: „Der Krieg als der Zustand, in welchem mit der Eitelkeit der zeitlichen Güter und Dinge, die sonst eine erbauliche Redensart zu sein pflegt, Ernst gemacht wird, ist hiermit das Moment, worin die Idealität des Besonderen ihr Recht erhält und Wirklichkeit wird.“ Die „ideellen Güter“, der Wert Europas ist kein bloßes philosophisches Geschwätz neben der Welt; es ist eine Angelegenheit, bei denen es den europäischen Staaten, die versuchen die Krise zu meistern, schwer darauf ankommt, dass ihre Bürger die „Idee Europa“ auch als ihre Idealität anerkennen und für Sie ihrer „Eitelkeit der weltlichen Güter“ abschwören.
Aber was ist die Idee Europas überhaupt? Viel Papier ist dazu entstanden und viel Unsinn verzapft worden. Die ehrlichste Antwort gab jedoch der scheidende Präsident der europäischen Zentralbank, Jean Claude Trichet, mit seiner Beschreibung: „Unser Vorbild war der einheitliche amerikanische Markt. Wenn wir Wohlstand und Frieden wollen, so hieß es damals, dann müssen wir von den gleichen Größenvorteilen, vom gleichen Freien Markt profitieren wie die Vereinigten Staaten. So sahen es die Gründungsväter Europas. Wenn das damals zutraf, dann umso mehr heute.“
Inzwischen ist ja allgemein bekannt, dass hauptsächlich Deutschland von freien Märkten profitierte und seine Exportüberschüsse andere europäische Nationalökonomien (z.B. Griechenland) ruinierten. Damit die „Idee Europa“ weiter gilt, wird in Europa inzwischen „Deutsch gesprochen“, worunter die Verarmung der Massen für die Verwertungsmöglichkeiten des Kapitals verstanden wird.
L‘Etat pour moi
In der Krise erschallt der Ruf nach dem Staat, nicht nur von den kreditlosen AutobauerInnen oder den in der Liquiditätskrise steckenden Banken. Auch die Linke sieht sich mal wieder bestätigt. Das Finanzkapital habe mithilfe skrupelloser ParlamentarierInnen „die Politik“ verhökert. Gefangen vom Wohlwollen der „Finanzmärkte“ würden die Staaten ihrem eigentlichen Auftrag der Befriedigung des Volkswillen nicht mehr nachkommen. Neben solch recht einfach gehaltenen Erklärungsmustern finden sich selbstredend ein Haufen akademischer Ausführungen gleicher Art. Hintergrund dieser Behauptung ist ein verklärendes Bild vom „golden age of capitalism“ (Hobsbawm). Demnach war der Staatsinterventionismus, inklusive seiner ideologischen Untermauerung durch den Keynesianismus Mitte des 20 Jahrhundert, nicht Resultat der Monopolisierungstendenzen (Imperialismus), der Problematiken in der Mehrwertproduktion (Mattik) und den revoltierenden Arbeiterkämpfen (Silver); er steht für einen ominösen „Klassenkompromiss“, der auf einem für die Arbeiterklassen vorteilhaften „Kräfteverhältnis“ bestanden habe. In dieser Lesart wird nicht nur die innere Geschichtlichkeit des Kapitals verleugnet, sondern der Kampf für eine befreite Gesellschaft auf den Staat, dem Territorium seiner Niederlage, fixiert. Hiernach hätten die „ideellen Gesamtkapitalisten“ die obskure ahistorische Potenz alle Krisenproblematiken qua Souveränität für alle Ewigkeit zu bannen und die beständige Verwertung des Werts zu gewährleisten. Und so bedarf die globale Kapitalakkumulation nichts dringender als eine „wirkliche Nachfrage“ zu schaffen und neue „Führungs-technologien“ mittels „Green Capitalism“ zum Zwecke der Geldvermehrung einzuführen. Allein das die oberen Etagen von solcher Art pragmatischen Vorschlägen zur Aufrechterhaltung der Ausbeutung und Unterdrückung nichts hören wollen, lässt die Behauptung von der verblichenen Souveränität der Staatsgewalt in noch hellerem Lichte erscheinen. Solcher „linker Glaube“ an die Macht des Staates führte am 20. Oktober 2011 dazu, dass die KKE (griechische StalinistInnen) in Athen die Parlamentssitzung zur Abstimmung eines weiten Sparpakets durch ihre „Schlägerbanden“ absichern ließ. Wer die Macht im Staate erringen will, der muss den Aufstand zerschlagen.
Was tun? – Positionsbestimmung
In den letzten Jahren unternahmen einige antinationale Zusammenhänge den Versuch, international Bezüge herzustellen. Auch wenn bisher die Kapazitäten größere Initiativen nicht ermöglichten, behielten alle Versuche eine klare inhaltliche Linie bei: Abgrenzung gegenüber der staatstragenden Linken, und die Ablehnung einer sogenannten „Solidarität der Völker“. Im Sinne einer Stärkung des revolutionären Defätismus agitierten wir – lokal und überregional – gegen global agierende Unternehmen mit deutscher Anschrift oder gegen deutsche und europäischen Institutionen. Bei den Aktionen ging es darum, die Nation als unhinterfragter Bezugspunkt der Politik zu kritisieren und in symbolischer Aktionsform den vorgestellten Nutzen für das jeweilige nationale Allgemeinwohl anzugreifen. Parallel suchten wir die Kommunikation mit den Revoltierenden, was allerdings nicht immer gelang.
So wurden während zwei bundesweit ausgerufenen Aktionstage im Rahmen der Kampagne „Antifa Teheran“ der Aufstand von 2009 gegen die Islamische Republik des Iran unterstützt und zum Beispiel deutsche Firmen, die sich im Iran ihre Hände schmutzig machen, öffentlich angegriffen. Kritische Recherchen ergaben, dass die deutsche Wirtschaft mit Rückendeckung des deutschen Staates das IRI-Regime unterstützt. Zentral für diese Kampagne war dabei die Blockade des IRI-Konsulats in Frankfurt. Die Blockade, die das direkteste und weitgehendste Solidaritätssignal an die Revoltierenden im Iran sendete, was wir in dieser Situation senden konnten. Leider konnten wir in der breiten Linken keine Unterstützung finden, da „die traditionelle, linke Rezeption des politischen Falls Iran und die beschränkte Fähigkeit, auf 2009 angemessen zu antworten“ bestehen blieb.
Bei unserer Beteiligung am globalen „Eurest-Aktionstag“, der von den GenossInnen der Industrial Workes of the World organisiert worden war, sammelten wir Erfahrungen anderer Art: so erfuhren MitarbeiterInnen der Ford-Kantine in Köln direkte Unterstützung von Eurest-ArbeiterInnen von New York bis Frankfurt, die mit Aktionen weltweit ihre Solidarität mit den Ford-ArbeiterInnen bekundeten und Druck auf das Eurest und Ford Management ausübten. Vielleicht nur ein Zeichen, dass in Zeiten gewerkschaftlich organisiertem nationalem Konkurrenz-Kampf der Stammbelegschaften um Arbeitsplätze, trotzdem in Teilen der Arbeiterschaft ein Bewusstsein für die Bedeutung von Solidarität zu wecken ist. Ziel bleibt die Thematisierung einer Vernetzung
der Lohnabhängigen international entlang von transnationalen Verwertungsketten, um die Frage nach der „Produktionsmacht“ (Silver) in der „verborgenen Stätte der Verwertung“ (Marx) wieder frei zu schaufeln.
2011 wurde in Hinsicht der unberechenbaren Ausbreitung von praktischer Solidarität in Deutschland ein neuer Höhepunkt erreicht: die Räumung des linken Hausprojektes „Liebig 14“ hatte als Folge, dass sämtliche Polizeieinheiten bundesweit 24 Stunden im Alarmdienst standen. Tatsächlich knallte es nicht nur in Berlin, sondern in ganz Deutschland und darüber hinaus, spontaner denn je. Dies verstanden wir als Konsequenz auf weitere staatliche Räumungsphantasien, z.B. gegen die Roten Flora in Hamburg.
Dabei erinnerten diese solidarischen Kettenreaktionen an die internationale Reaktion auf die Dezemberrevolte 2008 in Griechenland. Die Besetzung der griechischen Botschaft in Berlin am 8. Dezember 2008, die in allen griechischen Medien erschien, die zahlreichen Aktionen und Demonstrationen verteilt auf der Weltkarte, „beflügelten“ unsere GenossInnen in Griechenland, ihren Kampf nicht aufzugeben.
Yes! Antinational solidarity!
All diese Fälle eint die Motivation, im weitesten Sinne solidarisch zu sein. Aber was bedeutet Solidarität überhaupt? Heute handelt es sich um eine unterschiedlich verwendete Wort-Hülse. Ihre linksradikale Bestimmung erweist sich, angesichts des hegemonialen Verständnisses, als problematisch. In der bürgerlichen Gesellschaft wird unter dem Solidaritätsprinzip eine interessenlose Verpflichtung auf das „Allgemeinwohl“ verstanden: frei nach dem Motto „Einer für alle, alle für einen“. Von der Abwälzung der Reproduktionskosten der ArbeiterInnen auf sie selbst in der Sozialversicherung, bis hin zur „Agenda 2010“ oder den Austerity-Maßnahmen schallt der Ruf nach „Solidarität“ immer im Sinne nationaler Pflichterfüllung für Staat und Kapital.
Unser Verständnis „antinationaler Solidarität“ steht dieser Verpflichtung auf die Nation diametral entgegen. Wir schließen an das Verständnis von Solidarität der ersten Internationalen an. Marx und Engels hatten für Sie das Grundprinzip der Solidarität aus der Notwendigkeit des internationalen Charakters der sozialen Revolution hergeleitet. Zugleich war damals klar, dass nur im Willen, den ganzen Laden aufzuheben, eine solidarische Erhebung möglich sei. In diesem Sinne sagen auch wir: „Die Umwälzung muss solidarisch sein“.
Das Prinzip Solidarität muss also radikal und umfassend (wieder)besetzt werden. Solidarität gehört aus dem isolierten Teilbereichssumpf herausgefischt, wiederbelebt und aktualisiert, so das sie von jedem reaktionären und vor allem vom nationalen Tunnelblick befreit wird.
Wir wollen nicht in einem naiven Bewegungsoptimismus verfallen, aber wir sehen in den Kämpfen immer wieder Ansatzpunkte theoretischer und politischer Radikalisierung. Der Kampf um ein besseres Leben gelingt aber eben nur als soziale Revolution. Bis dahin gilt es für uns, die Idee einer antinationalen Solidarität über die Grenzen Deutschlands und Europas hinaus Flügel zu verleihen, und weiter dem Zusammenhang von Staat, Nation und Kapital im Fokus der Kritik und Aktion zu behalten – fern ab von jeglicher reformistischen und alteingesessenen Linken Illusion.
Für eine internationale antinationale Bewegung!