Vergangene Woche traten die rumänischen Arbeiter*innen beim insolventen Spargel Ritter in Bornheim (bei Bonn) in wilden Streik. Die Führung des Unternehmens in der Insolvenz obliegt der Anwaltskanzlei Andreas Schulte-Beckhaus & Bühls aus Bonn. Dass Spargel Ritter insolvent ist, wurde bei der Anwerbung der Arbeitskräfte unterschlagen; hier wird offenkundig versucht die Firma für neue Investoren fit zu machen – ausgetragen wird dies auf dem Rücken der Arbeiter*innen.
Wir waren gemeinsam mit anderen Linken Kräften vor Ort, insbesondere der FAU Bonn, die die Arbeiter*innen in ihrem Arbeitskampf unterstützt. Sie wurden nicht, oder nur unzureichend bezahlt, unter menschenunwürdigen Bedingungen untergebracht, die Verpflegung wurde als ungenießbar, teilweise verschimmelt deklariert. Die im Arbeitskampf laut gemachten Zustände stehen exemplarisch für viele andere Höfe in Deutschland. Bornheim hat System.
Die Krise des Spargels
Während mit Ausbreitung der Pandemie sich einige Betriebe zur Aussetzung ihrer Dienstleistung bzw. Produktion durchringen konnten und somit zumindest teilweise in dem deutschen inkonsequenten Shutdown durch die Kontaktreduzierung die Ausbreitung von Covid-19 eingedämmt werden konnte, gab es in Bornheim nichts dergleichen.
Die Menschen sind auf engstem Raum, in einem Containerdorf bei der örtlichen Kläranlage, fernab des Ortkerns untergebracht. Kaum jemand trägt eine Schutzmaske; die wenigen vorhandenen Masken wurden von Busfahrern zur Verfügung gestellt, die Mitleid mit den Arbeiter*innen hatten.
Angesichts der Covid-19-Pandemie wäre es vernünftig gewesen, die Erdbeer- und Spargelernte dieses Jahr ausfallen zu lassen und Entschädigungszahlungen zu leisten – in allen Richtungen, vor allem an die Beschäftigten und die kleinen Betriebe.
Da aber die Erträge des bundesdeutschen Agrarkapitals über die Gesundheit und Menschenleben gehen, wurden eigens 40.000 osteuropäische Feldarbeiter*innen eingeflogen. In Baden-Würtemberg erlangte der Tod eines rumänischen Arbeiters traurige Aufmerksamkeit – bundesweit wurde trotzdem weiter gearbeitet.
Rassismus als Spaltungsinstrument
An Spargel Ritter beweist sich Rassismus als sehr nützliches Spaltungsinstrument der herrschenden Klasse. Zuvorderst steht die Einteilung der Arbeiter*innen in „Kolonnen“ (so die rassistische Sprachregelung der Bosse) unterschiedlicher Sprache, die zeitlich und/oder räumlich verschoben eingesetzt werden; man läuft sich über den Weg, ein Austausch kommt nicht zu Stande. So dauerte es, bis etwa die deutschen Kolleg*innen vom Streik erfuhren. Sie solidarisierten sich zwar, traten jedoch nicht in den Streik mit ein.
Es beteiligten sich auch nicht alle rumänischen und polnischen Arbeiter*innen an dem Streik. Ein Grund dafür sind die verschiedenen Arbeitsverträge. Einige der Verträge liefen bis September, andere bis Juni. Entsprechend sahen jene, die einen Vertrag bis September hatten, ihre Arbeitsverträge in besonderer Gefahr. Arbeiter*innen mit Wohnsitz in Deutschland, die im Zuge der Corona-Krise auf Kurzarbeit gesetzt wurden oder anderweitig Geld brauchen, erhalten derweil etwas mehr als den Mindestlohn. Vorgeblich, weil sie das von den rumänischen und polnischen Arbeiter*innen gestemmte Erntepensum nicht stemmen könnten und schlechter bezahlt würden, würde man sie auch nach Akkord bezahlen. So wird in der Rechnung schlußendlich die rumänische Arbeitskraft schlechter entlohnt, als die deutsche: Erwirtschaften diese in der gleichen Zeit mehr als ihre deutschen Kolleg*innen, erhalten sie am Ende – in Relation – weniger Lohn. Wer wie viel Lohn erhält, liegt am Pass, den er*sie vorzulegen hat. Unternehmen brauchen billigere Arbeitskräfte aus dem Ausland, um konkurrenzfähig auf dem Markt zu bleiben und um den Einen ihre Rechte zu gewähren, während die Anderen deutlich massiver ausgebeutet werden. Es entsteht eine rassistische Spaltung der Arbeitskraft und in Folge eine Entsolidarisierung zwischen den Arbeiter*innen verschiedener Staatsangehörigkeiten. Durch diese geschickte Optimierung der Ausbeutung im Klasseninteresse des Unternehmers und zur Absicherung des Standortvorteil (der Spargel wächst immer noch auf deutschem Boden!) profitiert am Ende der Inhaber, in diesem Fall die Insolvenzverwaltung Schulte – Beckhausen & Bühls mit Sitz in der Oxfordstraße 2 in Bonn.
Selbstorganisierung statt Sozialpartnerschaft
Arbeiter*innen, die sich nicht miteinander solidarisieren, sind leichter zu kontrollieren.
Gegen die gemeinsame Organisierung von wild streikenden Arbeiter*innen und der FAU Bonn wurde jedes im Klassenkampf von oben denkbare Mittel eingesetzt: Spaltungsversuche durch unterschiedlich hohe Teilauszahlungen der Löhne, als Mittel zur teilweisen Befriedung der Arbeiter*innen, dubiose Securities aus dem Rockermilieu, die eine anwaltliche und gewerkschaftliche Vertretung zu verhindern suchten oder eben die Polizei, welche der Vertretung der Insolvenzverwaltung – unter Androhung von Pfefferspray – den Weg frei schubste als wütende Arbeiter*innen sie an der Abreise hindern wollten. Hier zeigte sich recht eindrücklich was es bedeutet, wenn die Polizei das Recht auf Privateigentum verteidigt.
Es stellt sich außerdem die Frage, wo Ernteretterin Klöckner oder Vertreter*innen der großen Gewerkschaften eigentlich waren? Der Umstand, dass eigens eine rumänische Ministerin antanzen muss, um sich mit den Problemen in Deutschland angestellter Arbeiter*innen zu beschäftigen, ist doch einigermaßen entlarvend. Wo die rumänischen Arbeiter*innen nicht wählen dürfen oder Mitgliedsbeiträge zahlen, sind sie für deutsche Institutionen (von Parteien bis Sozialpartnern) wieder uninteressant. Dies ist Ausdruck ihrer Stellung in der deutschen Gesellschaft: so lange sie hier sind um unter widrigsten Bedingungen die Spargel-und Erdbeerversorgung deutscher Kleinbürger zu versichern ist alles gut – wo sie aber Rechte geltend machen, interessiert sich doch niemand für sie.
Rassistische Ausbeutung hat System
Rassistische Ausbeutung zeigt sich mitunter dort, wo die Drecksarbeit, hier: Erdbeeren pflücken und Spargel stechen, an Migrant*innen hängen bleibt. Wo sich Deutsche einerseits zu schade sind, gesellschaftlich abgewertete oder anderweitig harte Arbeit zu verrichten, gibt es zeitgleich eine Armee billiger Arbeitskräfte in osteuropäischen Nachbarländern, die froh sind ihre Familien ernähren zu können. Deutschland als Wirtschaftsstandort im allgemeinen, der einzelne Betrieb im Besonderen profitiert hier von wirtschaftlicher Abgeschlagenheit derjenigen Staaten, die bei der Überführung in die kapitalistische Produktionsweise aus dem Realsozialismus verursacht wurde. Die nachhaltige Dienstbarmachung sozialer Abgeschlagenheit osteuropäischer Arbeiter*innen ist nicht nur besonders zynisch sondern markiert einen internationalen Klassenwiderspruch. Die Kämpfe rund um den Betrieb Spargel Ritter eröffnen sich als Brennglas kapitalistischer Arbeitsverhältnisse in Zeiten eines globalisierten Arbeitsmarktes.
Wo die Isolation der migrantischen Arbeiter*innen vom Rest der Welt meist dazu führt, dass diese Überausbeutung weitestgehend unbeachtet bleibt, konnte die konkrete Solidarität der FAU Bonn diese durchbrechen. Gemeinsame Organisierung erwies sich als geeignetes Mittel, sich zur Wehr zu setzen; das gesetzte Minimalziel der Gewerkschaft, die Auszahlung der Löhne und Verhinderung drohender Obdachlosigkeit wurde erreicht. Dieses jüngste Beispiel praktischer Solidarität zeigt, dass sich gegen (rassistische) Ausbeutung zur Wehr gesetzt werden kann. In Zeiten des Rechtsruck müssen wir dran bleiben und beides tun: Den antirassistischen Klassenkampf organisieren und Deutschland einen Strich durch die Rechnung machen. Auf dem Spargelfeld, in den Sammelunterkünften und überall, wo sich seine Helfershelfer zusammenrotten. Der Kampf von Bornheim ist in Zeiten des gesammtgesellschaftlichen Rechtsruck ein Hoffnungsschimmer und ein Chance für die radikale Linke sich einzumischen.
Weitere Informationen findet ihr auf den Social Media Kanälen der FAU Bonn.
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