Rede des Antifa AK vom 26. Juli 2014 beim Aktionstag: “Kalk gegen Polizeiwillkür”
Einen ausführlichen Rückblick auf den Aktionstag gibt es bei der Basisgruppe Kalk
Wir stehen hier heute auf einem schönen Platz im Herzen Kalks. Viele nutzen ihn abends zum Zusammenkommen mit Freundinnen und Freunden sowie Nachbarinnen und Nachbarn.
Einen Steinwurf entfernt befindet sich das Kölner Polizeipräsidium. Aber bedeutet das Sicherheit oder Geborgenheit? Keinesfalls! Ganz und gar nicht! Jenes Polizeipräsidium mit seinen berüchtigten Streifen ist es, was mehr und mehr Menschen jeden Tag in Kalk viel größere Angst bereitet als die so häufig beschworene „Kriminalität“ in Kalk. Vor dem, was uns schützen soll, brauchen wir selbst Schutz.
Viele, die hier leben, sind der Polizei immer verdächtig. Egal, ob sie hier auf Kalk Post abhängen, ob sie drüben im Europapark Basketball und Fussball spielen oder ob sie einfach über die Kalk Mülheimer Straße spazieren, um Freundinnen und Freunde zu besuchen. Doch welchen Verdacht weckt ein friedlicher Jugendlicher im Park?
Vielleicht das Aussehen? Es ist kein Geheimnis, dass die Polizei vor allem in Kalk die Praxis des sogenannten „racial profiling“ betreibt. Dabei werden Menschen aufgrund äußerer Merkmale deutlich häufiger angesprochen, kontrolliert, durchsucht, des Platzes verwiesen. Den Vorwurf des Rassismus lehnt die Polizei aber strikt ab. Sie verweist auf die wenigen Prozent ihrer eigenen Beamtinnen und Beamten mit Migrationshintergrund und Kompetenztrainings. Diese dürfen als Alibi funktionieren einer Polizei, die sich dann benimmt als ob sie eins hätte- und weiter rassistisch handelt.
Diese Ausreden sind lachhaft. Diese Ausreden sind zynisch.
Wir erinnern uns an den Skandal um den NSU. Der Skandal rund um die Tatsache, dass Nationalsozialistische Terroristen in Deutschland immer noch organisiert morden. Dieser Skandal wurde überschattet von einer noch viel größeren Ungeheuerlichkeit: Die Aufdeckung, die Sichtbarmachung, das Ans-Licht zerren des Rassismus der Behörden. Jahrelang überzogen die Ermittler_innen die Betroffenen der Anschläge, die Hinterbliebenen der Opfer mit Verdächtigungen und übten massiven Druck auf sie aus. Neben dem Verfassungsschutz tat sich auch die Kölner Polizei mit Bezeichnungen wie „Döner-Morde“ hervor. Die Betroffenen der Keupstraße-Anschläge sprachen von einem Anschlag nach dem Anschlag.
Ein anderes Beispiel für die rassistische Praxis der Polizei ist deren Umgang mit dem Protest von Geflüchteten in Deutschland. In Berlin wurde kürzlich eine von Refugees besetzte Schule geräumt, bei der die Polizei Affengeräusche nachahmte und mit rassistischen Gesten in Richtung Geflüchtete provozierte.
Rassismus, ob bei Staatsorganen oder beim Einzelnen, ist kein Zufall.
Er entspringt systemisch in einer Gesellschaft, die ihre Individuen in dauernder Unsicherheit hält und zu permanenter Konkurrenz erzieht.
Was ist das für eine Gesellschaft? Es ist die Gesellschaft der kapitalistischen Nationalstaaten.
Ihr Versprechen war Wohlstand, Harmonie und Freiheit. Dieses Versprechen ist schon lange verschwunden, nicht mal die, die es machten, glauben noch daran.
Was für ein Wohlstand? In Europa dominiert Armut. Menschen sterben aufgrund einer Erkältung oder wegen Verhungerns.
Harmonie? Vor allem prägt Hass und Chauvinismus die Beziehung europäischer Bevölkerungen untereinander. Rechte und faschistische Kräfte gewinnen bedrohlich an Einfluss, Nationalismus nimmt flächendeckend zu.
Und dann das ewige Märchen der „Freiheit“. Welche Freiheit? Selbst wenn keine Krise ist, heisst Freiheit für die meisten von uns, Schule und Ausbildung zu machen und sich danach kaputt zu arbeiten für Peanuts. Herzlich willkommen in deinem Leben! Und für die Ausgeschlossenen vor den Toren der Industriefestung sieht der Alltag noch schlimmer aus. Sie werden für die Verwertung nicht gebraucht. Den Verdammten dieser Erde wird nichts geliefert außer endzeitartigen Müllmengen und Waffen.
Seit Krise ist, wird es noch schlimmer. Konkurrenz und damit Unsicherheit und Hass verschärfen sich. Um das Bestehende am Laufen zu halten, wird unter dem Stichwort „Austerity“ gekürzt, gespart, gekündigt. Auch die willkürlichen Kontrollen und Festnahmen in Kalk sind Teil einer internationalen, paranoiden Law-und-Order-Politik. Der Staat zieht die Schraube an, der Mob fordert es.
Immer stärker wird der Zugriff auf individuelle Freiheiten, Rechte und das Leben in der Öffentlichkeit im Alltag. Kalk und sein Polizeiterror sind dafür ein Beispiel, aber kein Einzelfall. Dieser Zustand durchzieht sämtliche europäische Städte. In Athen patroullieren Sondereinheiten der Polizei durchs Szeneviertel Exarchia und veranstalten mit Neonazis zusammen Hetzjagden auf Anarchisten und Migranten. In London werden Stachelkonstrukte an öffentlichen Plätzen angebracht, damit Obdachlose dort nicht mehr die Nacht verbringen. In ganz Italien werden selbstverwaltete Räume und Besetzungen gestürmt und geräumt. In Madrid dürfen Frauen nicht mehr selbstbestimmt abtreiben. In Istanbul wird das Zusammenkommen zu großer Gruppen als „potentiell terroristisch“ eingestuft und aufgelöst. Diese Liste kann noch lange fortgeführt werden.
Wir leben in einer Zeit, in der uns das bisschen Selbstbestimmung im Leben, was uns noch bleibt, auch noch genommen wird.
Das ist der „Ausnahmezustand“– jeden Tag, permanent. Im Namen der „Inneren Sicherheit“ und „Gewaltprävention“ für uns wird systematisch und jeden Tag Gewalt gegen uns angewendet. Diejenigen, die am lautesten ein Ende der Gewalt fordern, lehnen auch am lautesten ab, wenn die strukturelle Gewalt im kapitalistischen Staat angegriffen wird.
Diese Gewalt trennt uns voneinander. Sie vereinzelt uns. Leider scheitern auch wir oft daran, mit denen, die am meisten betroffen sind. Menschen mit Migrationshintergrund, Papierlose, Sinti und Roma – sie alle erleben das, was weiße Angehörige der bürgerlichen Mittelschicht höchstens bei Demos oder anderen Ausnahmefällen erleben, permanent. Wie oft werden sie angehalten und nach dem Ausweis gefragt und durchsucht? Wir wissen es nicht. Es fehlt der Dialog, gemeinsame Pläne und gemeinsame Praxis. Aber wir können hoffen, dass sich das ab heute ändert.
Wir können hoffen auf eine Perspektive der Zusammenarbeit, der Solidarität, die auf etwas anderes hindeutet.
Dieses andere nennen wir Kommunismus.