Aufruf der Autonomen Antifa [f] und des AK Antifa Köln gegen die Einheitsfeierlichkeiten am 2. Oktober in Saarbrücken.
 
Seit dem Wiedervereinigung genannten Beitritt der DDR zur  Bundesrepublik Deutschland feiert sich dieser Staat und ein Großteil der  ihm als Nation unterworfenen Menschen am 3. Oktober selbst. Dieses Jahr  wird der offizielle Teil des bundesweiten „Nationalfeiertages“ in  Saarbrücken im Saarland ausgetragen. Verschiedene linke Gruppen rufen  dazu auf, diesen Anlass zu nutzen um auch dieses Jahr das  nationalistische Spektakel nicht unwidersprochen geschehen zu lassen. Am  9. Oktober findet dann in Leipzig eine überregionale Demonstration  gegen die Feiern zum 20jährigen Jubiläum der „Wiedervereinigung“ statt.  Erst einmal eine gute Idee. Nicht zuletzt, weil ein Großteil der Linken  in Deutschland, etwa weite Teile der Linkspartei, immer noch der  (antiimperialistischen) Ideologie von Staat, Volk und „nationaler  Befreiung“ anhängt. Nur leider sind die ohnehin allzu spärlichen  Aktionen der Linken in Deutschland gegen die nationalen Inszenierungen  häufig Ausdruck einer bloß noch identitären Beschäftigung mit der  Funktionsweise von Staat, Nation und Kapital im Allgemeinen sowie dem  aktuell hegemonialen Nationalismus im Besonderen. Diese theoretische  Borniertheit hat auch praktische Verwirrungen zur Folge. So will die  antideutsche Linke diesem Staat immer noch mit dem Verweis auf die  besonderen Verbrechen seiner Geschichte an den Kragen und flaggt wohl  auch im Saarland und in Leipzig wieder Israel-, bzw. Alliiertenfahnen  aus dem Zweiten Weltkrieg als Zeichen ihrer „kompromisslosen Ablehnung“  Deutschlands. Damit macht sie es den Fans der BRD leicht – anstatt eine  radikale Kritik und Praxis zu entwickeln. Trotzdem sollte auch die  antinationale Linke mit ihrer Kritik an Staat und Nation bei den Feiern  im Saarland und in Leipzig präsent sein. Schließlich ist man sich auch  sonst nicht dafür zu schade mit allen möglichen Reformisten auf die  Straße zu gehen. Zudem lässt sich an diesem Anlass gut verdeutlichen,  wie ein Antinationalismus heute in Theorie und Praxis aussehen sollte –  und wie nicht.1
Deutschland in Europa in der Welt
Das Motto („Europa erleben“) und die Gästeliste der bundesdeutschen  Feierlichkeiten am 2. und 3. Oktober im Saarland, die u. a. mit  Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy aufwarten, verweist auf eine  reale Veränderungen der Konfiguration von deutschem Staat, Nation und  Kapital in globalen Kapitalismus. Europa bzw. die EU sind nach dem  bestehenden hegemonialen Verständnis der Rahmen, in dem der deutsche  Staat seine Interessen wirtschaftlich, diplomatisch und gegebenenfalls  militärisch im Hauen und Stechen des kapitalistischen Weltmarktes  durchsetzen kann und muss. Denn die Rivalität zwischen den europäischen  Großmächten (und den USA) aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg hat  sich in eine fragile Beutegemeinschaft einiger Weltmarktgewinner  transformiert. Als allgemein anerkannter Modus der institutionalisierten  Aushandlung der jeweils konkreten Strategie zur Erreichung dieses Ziels  fungiert in Europa die parlamentarische Demokratie. Das heißt: Der  Staat setzt kraft seines Gewaltmonopols eine Reihe von politischen und  privaten Freiheiten ins Recht, die einen „fairen Wettbewerb“ der Ideen  und Lebenskonzepten garantieren sollen. Das war nicht immer so. Gemessen  an der Geschichte Deutschlands, insbesondere den Verbrechen des  Nationalsozialismus, handelt es sich aktuell um eine relativ entspannte  Form der Aushandlung und Ausübung staatlicher Herrschaft. Formell werden  schließlich allen Staatsbürgern dieselben Rechte (und sogar allen  Menschen die gleichen Menschenrechte …) versprochen und abgesehen von  einer (gleichwohl nicht kleinen) Minderheit rechtsradikaler Ideologen  und Modernisierungsverlierer fügen sich die meisten Staatsbürger auch in  diese Situation. Als „Exportweltmeister“ hat Deutschland schließlich  ein plausibles Interesse an der relativen Durchlässigkeit der Grenzen  für Arbeitskräfte und Güter. Wohl nicht zuletzt deswegen ist sich die  Mehrheit der Staatsbürger momentan in der Ablehnung rechtsradikaler  Lynchjustiz einig. Mit anderen Worten: „Der Ausländer, der morgen  abgeschoben wird, soll sich heute hier sicher fühlen“ (Beckstein).  Allerdings klingt in diesem Diktum bereits an, dass auch der  demokratische Nationalismus im Standort Europa keine menschenfreundliche  und vernünftige Veranstaltung ist.
Der Staat, die falsche Freiheit und das Dilemma der Politik
Denn: Die Systemzwänge kapitalistischer Herrschaft wirken auch in der  Berliner Republik. Da der Staat in seiner Existenz von Steuern abhängt,  kann er langfristig gar nicht anders, als die Zwänge der  Weltmarktkonkurrenz in „erfolgreiche Politik“ umzusetzen. Verhandelt  wird im Zuge staatlicher Politik insofern nur wie und auf wessen Rücken der Erfolg gegen andere erlangt wird – nie ob.  Der Staat ist der Garant einer Ordnung, die Freiheit nur als freie Wahl  der Waffen kennt. Polizei und Gerichte schützen das Privateigentum und  zwingen damit jeden dazu, das eigene Glück in Arbeit und Konkurrenz  gegen den Rest zu suchen. Doch nicht genug, dass der Staat die Regeln  dieses beschönigt „Wettbewerb“ genannten allgemeinen Rennen, Rackern und  Rasen vorgibt; er greift auch immer wieder als Antreiber und  parteiischer Schiedsrichter in soziale Konflikte ein und passt  gegebenenfalls die „Rechte und Pflichten“ seiner Untertanen an die  Notwendigkeiten der Weltmarktkonkurrenz an. Die schöne neue Welt der  „europäischen Zivilgesellschaft“ findet also aus strukturellen Gründen  immer wieder ihr hässliches Pendant in Aufrüstung, Sozialabbau,  Kriminalisierung sozialer Konflikte und tödlicher Flüchtlingsabwehr.  Diese Einsicht, also das Wissen darum, dass Politik auch unter dem  freiesten Gewaltmonopolisten, der je deutsche Pässe ausgegeben hat,  stets eine Wahl zwischen falschen Alternativen bedeutet, macht linke  Politik im staatlichen Rahmen zwar nicht überflüssig. Vielmehr verweist  sie ja gerade darauf, dass es durchaus einen Unterschied machen kann,  welche Sozialpolitik gefahren wird und ob der Innenminister ein Rassist  ist oder nicht. Aber es bleibt doch stets ein Dilemma, dass alles, was  der eine Staat bestenfalls unter dem Druck sozialer Bewegungen den  Menschen an Rechten und sozialen Wohltaten zugesteht, im brutalen  Wettbewerb gegen andere erbeutet werden muss. Dieser strukturelle  Zusammenhang von Staat und Kapitalismus verbürgt weltweit das Scheitern  jeder Befreiungsbewegung, die sich wesentlich auf den Einsatz  staatlicher Instrumente verlässt.
Du bist Nationalist
Die durchschnittlichen demokratischen NationalistInnen wollen von  diesem Dilemma allerdings nichts wissen. Sie haben ganz andere Probleme.  Denn gequält von der alltäglichen Erfahrung ihrer Ohnmacht und  Vereinzelung in der kapitalistischen Konkurrenz suchen sie nach  Anhaltspunkten einer versicherten, unzweifelhaften und  widerspruchsfreien Zusammengehörigkeit. Diese finden sie im Staat. Denn  erst die Identifikation mit der souveränen Macht des Gewaltmonopols  verspricht die Teilhabe an dessen (relativer) Machtvollkommenheit. Der  Fehler der NationalistInnen ist dabei allerdings ein doppelter:  Einerseits erwarten sie sich vom Fortkommen ihres Staates eine reale  Veränderung ihrer Situation im Teufelskreislauf der kapitalistischen  Konkurrenz. Dabei kann eben dieser Staat aber bestenfalls die  Ausgangsvoraussetzungen (z. B. „Bildung“) seiner Staatsbürger in jenem  Hauen und Stechen verbessern, das er als Ganzes jedoch stets aufs Neue  antreiben muss.
Andererseits geben sich die NationalistInnen beim bejubeln „ihrer“  Fußballmannschaft, beim Nationalfahnen-ins-Gesicht-Malen oder sonstigen  so idiotischen wie weit verbreiteten Aktivitäten gerne der Illusion hin,  es käme im nationalen Kollektiv gerade auf sie an. Das ist zwar nicht  ganz falsch und die staatlichen Apparate engagieren sich mit „Du bist  Deutschland“-Kampagnen und sonstiger offiziöser Ideologieproduktion ja  auch gerade dafür diese Überzeugung zu bestärken. Nur zeigt sich  spätestens in Krisen oder Kriegen doch schnell was der Staatsbürger dem  nationalen Kollektiv und „seinem“ Staat ist: Ein bei Bedarf auf dem  Schlachtfeld des Weltmarktes oder des Krieges zur opfernder  Arbeitskraftbehälter. In diesem Fall hilft den NationalistInnen häufig  nur noch die Gewissheit, dass es „den Anderen“ anderswo ja noch  schlechter geht, über die naheliegende Einsicht in die eigene Dummheit  hinweg. Demokratisch weniger gefestigte Staatsbürger verfallen hingegen  in solchen Situationen gerne darauf, ihre eingebildete  Anspruchsberechtigung mit Mord und Totschlag an eben diesen Anderen zu  unterstreichen. In jedem Fall gilt: Wenn sich die BRD rund um den 3.  Oktober samt einer Horde von mehrheitlich so demokratischen wie  nationalistischen Untertanen feiert, ist das nach wie vor kein Grund  mitzumachen, sondern vielmehr vernünftigerweise einer, der nationalen  Identifikation mit dem System mal wieder ein deutliches „Fuck you!“  entgegen zuschleudern.
never change a winning team?
Es stellt sich aber die Frage, wie die Linke diese Ansage plausibel  machen kann. Denn eine Kritik an Staat und Nation muss deren aktuelle  Entwicklungen berücksichtigen, wenn sie nicht unfreiwillig zum  bestenfalls noch kuriosen Beiwerk des nächsten hegemonialen Konzeptes  nationaler Identität werden will. Vor diesem Hintergrund zeigt sich,  dass der in Teilen der antideutschen Linken gängige Versuch, die  Ablehnung von deutschem Staat und Nationalismus über die besonderen  Verbrechen der deutschen Geschichte deutlich zu machen und  dementsprechend auf die ideologische Kontinuität zwischen  Nationalsozialismus und BRD zu verweisen, schon seit längerem auf  Pappkameraden eindrischt. Denn wenn Merkel und Sarkozy am 3. Oktober ihr  auf „Freiheit“ basierendes Projekt Europa hochleben lassen, dann  schwingt im Subtext stets mit, dass die Verbrechen des  Nationalsozialismus als „Auftrag und Verpflichtung“ längst Eingang in  die Konstruktion nationaler Identität in Europa gefunden haben. Nicht  trotz, sondern wegen Auschwitz werden deutsche und europäische  Interessen in der Welt durchgesetzt. Das Holocaust-Mahnmal im Herzen der  bundesdeutschen Hauptstadt, inzwischen ein Ort „zu dem man gerne  hingeht“ (Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder), stellt dies eindrücklich  unter Beweis. Und der Bundestag stellte schon 2003 in einer gemeinsamen  Resolution aller Parteien fest: „Wir haben die besondere Verantwortung,  die Erinnerung an den Holocaust wachzuhalten (…) Die Erinnerung an das  Geschehen ist Teil unserer nationalen Identität“. Es ist daher Ausdruck  von Traditionalismus und/oder Realitätsverweigerung, den aktuellen  Mobilisierungen der Nation nur mit dem lieb gewonnenen Verweis auf deren  besonders schreckliche Vergangenheit entgegenzutreten. Wie jeder  Traditionalismus hat allerdings auch dessen antideutsche Variante eine  Funktion. Mit der Einbildung, nachträglich den Kampf gegen die  Volksgemeinschaft zu führen, in dem man sie  raunend als  „postfaschistische“, bzw. „postnazistische BRD“ wieder auferstehen  lässt,  verleiht man sich selbst gefahrlos eine politische Relevanz und  moralische Weihe, welche der marginalisierte Linken in der  gesellschaftlichen Realität des 21. Jahrhunderts tatsächlich abgeht.  Weil bürgerlich-kapitalistische Gesellschaft und Faschismus bzw.  Nationalsozialismus aber eben nicht notwendigerweise in eins fallen, ist  die notwendige Konsequenz aus den Exzessen des Nationalsozialismus  leider keineswegs, wie antideutsche Gruppen immer wieder meinen, die  kommunistische Abschaffung von Staat, Nation und Kapital. Vielmehr kann  daraus auch die bürgerliche Lehre gezogen werden, dass es eine moderne  und wehrhafte Demokratie samt dazugehörigem, „entspanntem“  Nationalbewusstsein braucht. Und die Mehrheit dieser Gesellschaft übt  sich inzwischen genau darin.
Die Normalität des nationalen Sonderwegs
Der richtige Hinweis darauf, dass nach wie vor eine relevante Anzahl  von Menschen auch in der sogenannten bürgerlichen Mitte in Deutschland  einem anderen, nämlich völkisch-rassistischen, offen antisemitischen und  geschichtsrevisionistischen Konzept nationaler Identität anhängen,  ändert daran nichts. Denn eine Linke, die mehr sein will als bloß  antifaschistisch, d. h. mehr als der militante Arm der Bundeszentrale  für politische Bildung, kann sich nicht damit begnügen, nur die  Minderheit aus Neonazis und latent Rechtsradikalen als ihre Gegner zu  bestimmen. Dass sie häufig genug jedoch genau diesen klassischen  Antifa-Fehler wiederholt, zeigt eine tieferliegende Begriffslosigkeit.  Alle nationalen „Sonderwege“, schweb(t)en nie im luftleeren Raum. Auch  der „deutsche Sonderweg“, also die völkische Form einer Begründung des  nationalen Konstrukts mit der Ideologie von „Blut und Boden“, fällt  nicht aus der Geschichte der kapitalistischen Entwicklung heraus. Egal  ob Britisches Empire, USA oder Deutsches Kaiserreich – genau genommen  gab es bloß „nationale Sonderwege“ in der Entwicklung des Weltmarktes.  Auch der deutsche Sonderweg war nur eine – wenn auch bemerkenswert  menschenverachtende – Variante der Verarbeitung der Konfliktlagen der  kapitalistischen Weltmarktkonkurrenz. Damit ist gerade nicht gesagt,  dass sich Konzepte nationaler Identität einfach aus der Lage der  jeweiligen nationalen Ökonomien ergeben, sondern vielmehr, dass diese  ideologische Angebote darstellen, die sich langfristig aber auf  materiellen Grundlagen beziehen müssen. So sehr in diesem Sinne also die  Entwicklung nationaler Identität in Deutschland auch anders hätte  verlaufen können, so wenig erfolgversprechend sind momentan alle  Versuche einer umfassenden Wiederbelebung des völkischen  Nationenkonzeptes. Wenngleich der verdienstvolle Anteil der  antifaschistischen Linken an der nachholenden ideologischen  Modernisierung hin zu einem modernen Nationalismus in diesem Land sicher  nicht gering zu schätzen ist, dürfte die schweigende Mehrheit in dieser  Gesellschaft nüchterner kalkulieren: Im Zuge der materiellen  Veränderung der deutschen Stellung auf dem Weltmarkt im Rahmen von NATO  und EU sowie dem Aufstieg Deutschlands zum „Exportweltmeister“ hat sich  eben auch die nationale Ideologie geändert. Über die moralische Empörung  gegenüber den vergangenen nationalen Untaten fährt die Dynamik  kapitalistische Entwicklung samt ihrer nationalistischen Deutungen  jedenfalls hinweg wie ein Bus.
Standortnationalismus is the real slim shady
Spätestens mit Hartz IV und Agenda 2010 stutzte der  Standortnationalismus das Privileg der nationalen Zugehörigkeit auf die  Garantie einer sogenannten Chancengleichheit im Leistungswettbewerb  zurück. Alle Staatsbürger sollen die gleiche „Chance“ (und d. h. vor  allem Pflicht) haben, sich gegenseitig kaputt zu konkurrieren. Die  Zugehörigkeit zum Kollektiv der solcherart Anspruchsberechtigten hängt  dabei maßgeblich von der Bereitschaft ab, sich im Zweifelsfall dem Ziel  der nationalen Reichtumsproduktion in allen Lebensbereichen  unterzuordnen. Dass bei gegebener Qualifikation und bestandenem  Zuverlässigkeitstest dementsprechend auch der „Computerinder“ nun  vollwertiger Deutscher werden kann, nehmen die Nazis der CDU zwar immer  noch übel. Wer aber aktuell dem Nationalismus im Standort Deutschland an  den Kragen will, der muss den dominanten nationalistischen Diskurs als  das kritisieren, was er im globalen Maßstab inzwischen ist: Die  Normalkatastrophe. Denn selbst wenn inzwischen Menschen Staatsbürger  werden können, deren Opas nicht in der Wehrmacht waren: Auch liberaler  Standortnationalismus heißt immer Ausschluss der einen und Einschluss  der anderen, also einen Zwang zur Kollektivität gegen andere. Angesichts  des aktuellen Standes der Entwicklung des Kapitalismus heißt das, dass  es sich beim dem von Rot-Grün seit Ende der 90er Jahre final  durchgesetzten Konzept nicht einfach um einen falschen aber  “harmloseren“ Nationalismus handelt, sondern vielmehr um einen mit einem  anderen Anforderungsprofil. In den Auseinandersetzungen auf dem  postfordistischen Weltmarkt ist (nicht nur) der deutsche Staatsbürger  dazu angehalten, den Dienst am Vaterland nicht mehr nach Vorschrift,  sondern „eigeninitiativ“, „autonom“, „flexibel“ und natürlich  „teamfähig“ zu leisten. Dafür muss auch institutionell nachgeholfen  werden. Insofern sind Hartz IV, Arbeitsdienst und die flexible  Außengrenzenüberwachung durch Frontex und Co. keine zufälligen  Erscheinungen, sondern Ausdruck davon, dass Nationalismus auch mit Iro,  Sammy Deluxe und Adornogedenkjahr stets eine gesellschaftliche  Mobilmachung gegen die Störenfriede der nationalen Sache im Innern und  Äußern bedeutet. „Alles für den Standort!“ ist das Credo des  demokratischen Nationalismus. Diese keineswegs entspannte Normalität  sollte für eine Linke eigentlich schon Grund genug für Kritik sein. Das  aber setzt voraus, dass es sich bei den Linken nicht um verkappte  Liberale, sondern um KommunistInnen handelt; um Leute also, die auch  dann noch ein Problem mit dieser Gesellschaft haben, wenn nach dem  Deutschlandspiel keine Dönerläden mehr eingeschmissen werden und auch  noch der Letzte die Formel von der „besonderen deutschen Verantwortung  gegenüber Israel“ runterbeten kann.
Der Ort der Revolution
Eine „Kritik“ von Staat und Nation, die ihre Kraft nur aus deren  selbsteingestandenen Skandalen bezieht (z. B. rassistischer und  antisemitischer Gewalt.), denen das Staatspersonal überdies aktuell  selbst mit Appellen, Polizei und Förderprogrammen beizukommen versucht,  taugt offenbar wenig. Dass trotzdem immer noch probiert wird, nationalen  Mobilisierungen in Deutschland etwa mit den Nationalsymbolen seiner  früheren Kriegsgegner (und heutigen Verbündeten…) entgegenzutreten, bzw.  überhaupt die ganz besondere Bosheit des „eignen“ Nationalismus im  Kontrast zu besser begründeten Nationalismen anderswo zu behaupten,  verweist gleichwohl auf ein reales Problem. Allerdings hat dies wenig  mit der von den jeweiligen Fahnenschwenkern selbst angeführten  politischen Begründung, sondern mehr mit subjektiver Sinnstiftung zu  tun. Das ist nachvollziehbar: Die Geschichte der radikalen Linken ist  eine Geschichte von Enttäuschungen und Ersatzhandlungen. Nach dem mit  der Verstaatlichung der Arbeiterbewegung schon das vermeintlich  revolutionäre Subjekt im falschen abhanden gekommen war, der Reformismus  sich in unzähligen Kriegen und Krisen blamiert und die  antiimperialistische Vorstellung „nationaler Befreiung“ sich bestenfalls  (zuletzt in der Globalisierungsbewegung) als Ideologie der nachholenden  Entwicklung abgehängter Staaten in der Weltmarktkonkurrenz entpuppt  hat, haben jene Linken, die diese Entwicklung immerhin zur Kenntnis  nehmen, tendenziell ein politisches Identitätsproblem. Wo weder ein  Subjekt noch eine Strategie zur grundsätzlichen Veränderung der  Gesellschaft realistisch erkennbar und der Alltag in den sozialen  Zentren und Kleingruppen häufig frustrierend bis nervtötend ist, da ist  die Suche nach einem Ort, der eine ungebrochene Identifikation  anzubieten scheint, nachvollziehbar. Wer sich aber fürs Fußballstadion  zu schade ist, sich den Absturz in Alkohol und Drogen erspart und den  Ausstieg in private Passivität keine vernünftige Option findet, der  kombiniert entweder die Varianten oder muss dazu noch andere  Möglichkeiten suchen, seine Welt erträglicher zu strukturieren. Beide  schon seit längerem populären Möglichkeiten – sowohl der Rückzug auf  eine „reine“, angeblich radikale Theorie wie auch die (und sei sie noch  so „provokativ“ gemeint) Identifikation mit der Macht alternativer  Nationalstaaten – bieten die Möglichkeit, sich der realen Ohnmacht und  Bedeutungslosigkeit subjektiv zu entziehen. Die Fans der „reinen“  Theorie ersparen sich in ihren endlos um sich selbst kreisenden Debatten  auf Blogs, die ohnehin nur von Leuten gelesen werden, die das gleiche  Problem haben, die Niederlagen einfach ganz. Wer sich raus hält, kann  schließlich auch nichts falsch machen. Überdies entspricht der  narzistische Habitus im virtuellen Exil weniger den Akteuren der  kritischen Theorie (auf die man sich in diesen Kreisen so gern bezieht),  als vielmehr einem konservativen Romantizismus: Abgeschlossen von  allem, kultiviert der arme Poet in der Dachkammer seiner  Intellektualität, Empfindsamkeit und Gelehrigkeit, nur sich selbst und  der Wahrheit verpflichtet. Dass er heutzutage dabei ab und an ätzende  Texte in die Welt hinausschießen muß, ist ihm Last und Rechtfertigung  zugleich: Auch an ihm ist der neoliberale Imperativ des „lebenslangen  Lernens“ und der „Entwicklung des eigenen Selbst“ nicht spurlos  vorübergegangen. Ein richtiges Leben im falschen gibt es im globalen  Kapitalismus eben nicht einmal in der Theorie. Der positive Bezug auf  alternative Staaten bietet dagegen zwar eine politische Praxis. Diese  aber braucht nur noch aus sicherer Entfernung kommentiert zu werden   Beide Umgangsweisen sind in Theorie und Praxis im Wortsinne identitär.  Sie suchen im Kapitalismus Identifikationspunkt auf denen sich die reale  Ohnmacht besser ertragen lässt, anstatt diese anzugehen. Insofern sind  sie ein Revolutionsersatz von links.
Mit anderen Worten
“Das ist der Job, den die Antideutschen übernommen haben. Sie hören  es gerne, wenn man Deutschland beschimpft, je schlimmer, desto besser.  Zornig werden sie nur, wenn einer Deutschland harmlos nennt. Sie wollen  sich gerne einbilden, Angehörige eines mächtigen und gefährlichen Volkes  zu sein, um dergestalt die der Welt vor diesem Volk drohende Gefahr  abwenden oder wenigsten vor ihr warnen zu können. (…) Auf die Faktenlage  und die wirklichen Machtverhältnisse verwiesen, führen die  Antideutschen gerne die Befindlichkeiten der Landsleute ins Feld, das,  was die in ihrem Herzen oder auf der Seele trügen. Aber wenn es jemanden  dort drückt und er damit ein Problem hat, sollte er den Psychiater oder  den Kardiologen konsultieren. Eine Gefahr für die Welt ist er deshalb  nicht. Einen Sinn ergibt das Die-Welt-vor-den-Deutschen-retten-Syndrom  eigentlich nur, wenn man die Leute so versteht, dass sie weniger retten,  als gerettet werden möchten. Das würde zu ihnen passen. Antideutsch war  die Linke, die es heute ist, nicht immer. Früher war sie  antikapitalistisch. Sie mochte die Arbeiter und sie wurde nicht müde  ihnen beistehen zu wollen gegen das Kapital. Aber nur, solange sie im  hiesigen Proletariat den kleinen Bruder des viel Größeren und mächtigen,  fast allmächtigen im Osten sah, solang die Arbeiter Arbeit und auch die  Armen noch genug hatten. Jetzt wo die Verelendung der Armen  beschlossene Sache ist, (…) ziehen die Volksfreunde sich enttäuscht  zurück. Sie hatten sich als Fürsprecher der Arbeiter und Armen  aufgeführt, weil sie in ihren Schützlingen die Sieger von Morgen sahen  und von ihnen mit Erfolg und Ruhm belohnt zu werden hofften. Sie merken  jetzt: Sie hatten aufs falsche Pferd gesetzt. Die Armen sind wirklich  nur noch arm, und seither hat das Thema für diese Linke jeden Reiz  verloren. Kein siegreiches Proletariat in der Sowjetunion mehr, unter  dessen Schutz man sich stellte, wenn man die Schwachen zu beschützen  vorgab. Anlehnung wird seither anderswo gesucht, aber auf die gleiche  Weise. In manchen Gemütshaushalten scheinen die USA heute eine ähnliche  Rolle zu spielen, wie die Sowjetunion zu Zeiten des Ostblockes sie  eingenommen hatte. (…) Die Antideutschen bieten ihre Hilfe stets  Personen an, die bewiesen haben, dass sie sich sehr gut selber helfen  können, weit besser als die unerbetnen Helfer. Menschen hingegen, denen  man sogar noch das Klo wegnimmt, sind für sie kein Thema.“ (Wolfgang  Pohrt; FAQ)
Antinationalismus muss praktisch werden…
Ihre reale Ohnmacht kann die Linke gleichwohl nicht ignorieren. Es  gibt momentan keinen Ort und keine Strategie, der oder die eine  revolutionäre Perspektive anbieten kann. Schon davon zu reden wirkt  anachronistisch. Trotzdem gibt es keinen Grund, sich in den Konflikten  des Staatensystems auf die Logik des kleineren Übels einzulassen – dass  sollen die Liberalen machen. Die radikale Kritik von Staat, Nation und  Kapital braucht sich allerdings auch nicht auf eine Frage der richtigen  Gesinnung zurückzuziehen und der praktischen Auseinandersetzung zu  enthalten: Es ist nicht radikal, wenn die Linke die gesellschaftliche  Ohnmacht theoretisch verdoppelt. Anstatt sich auch noch mit der eignen  Ohnmacht zu identifizieren, gilt es dagegen die antinationale Kritik, wo  immer möglich, als Vaterlandsverrat praktisch zu machen. Denn wo weder  ein Subjekt noch ein prädestinierter Ort radikaler Veränderung  bestimmbar ist, ist es an der radikalen Linken, den Wahrheitsgehalt  ihrer Analyse, d. h. die Möglichkeit dass es ganz anders werden kann, in  und anhand sozialer Auseinandersetzungen deutlich zu machen. Etwas  Besseres als die Nation findet sich weder in einer Theorie, die dem  Leben der Gesellschaft abstrakt gegenüber gestellt werden könnte, noch  in alternativen Lieblingsstaaten oder einem ritualisierten „Gedenken“.  Vielmehr lässt sich das Jenseits der Nation als Sabotage im  institutionellen Tagesgeschäft des demokratischen Staates  nachvollziehbar und als eine im besten Sinne unkonstruktive Option  erfahrbar machen. Denn die Zwänge der kapitalistischen Standortpolitik  streichen alltäglich noch die banalsten menschlichen Bedürfnisse durch.  In ihnen muss sich daher auch der Skandal des staatlichen  Normalvollzuges und die Möglichkeit einer anderen Gesellschaft deutlich  machen lassen. Nicht mit der Perspektive auf eine langsame Reform der  Institutionen von Staat, Nation und Kapital, sondern mit dem Aufzeigen  eben der Untauglichkeit ihrer Mittel für die Schaffung einer  menschlicheren Gesellschaft.
…als etwas besseren als die Nation
Die Möglichkeiten solch eines praktischen Antinationalismus sind  vielfältig. Antirassismus meinte dann nicht mehr den konstruktiven  Appell an die staatliche Berücksichtigung des „produktiven Potentials“  der Migration, sondern den militanten Angriff auf das Bündnis aus  demokratischen Bürgern und Abschieberegime in der Standortkonkurrenz.  Auch linke Schul- und Hochschulpolitik wäre nicht mehr als Einforderung  des Ideals einer „besseren Bildung“ denkbar, sondern nur als Aufklärung  über und Sabotage der staatlichen Aufzucht des nationalen Humankapitals,  die Selbstbestimmung nur als Training für Konkurrenz und Auslese kennt.  Die gewerkschaftliche Vertretung der „Interessen der Lohnabhängigen“  bedeutete demnach die praktische Absage an die nationale  Komplizenschaft, wie sie z. B. DGB-Gewerkschaften, Unternehmerverbände  und Zoll gegen Lohnabhängige hier und anderswo ganz praktisch pflegen.  Überhaupt wäre in sozialen Kämpfen eine Position jenseits der  allgemeinen Staatsfixiertheit in der Schaffung alternativer Strukturen  und Angebote machbar. Selbst Antifaschismus erschöpft sich ja nicht  notwendig in der Arbeit eines alternativen Verfassungsschutzes, sondern  kann statt auf staatliche Verbote auch auf seine eigene Stärke und  autonome Aktionsformen setzen. Und auch „internationale Solidarität“  wäre dann nicht mehr auf symbolische Absichtserklärung, staatliche  Lobbypolitik und gutgemeinte Politikberatung zurückgeworfen. Vielmehr  könnte eine antinationale Solidarität mit dem Versuch der strategischen  Schädigung der deutschen Außenhandelsbilanzen ganz praktischen Druck für  die paar fortschrittlichen Bewegungen, die es anderswo gibt, entfalten.
Making communism a threat again
Ob solch ein praktischer Antinationalismus eine Perspektive für die  grundsätzliche Veränderung dieser Gesellschaft eröffnet, lässt sich zwar  nicht mit Sicherheit behaupten, dass es ohne ihn allerdings bestimmt  nichts werden, wird ist sicher. Denn auch wenn er sich im Moment auf  kurze Momente erfolgreicher Sabotage und nur kleine Ansätze anderer  Organisierungsformen jenseits des Staates beschränken muss, ist die  Alternative dazu doch ungleich trostloser: Das zynische Mitmachen im  Bestehenden. Dagegen ist die gesellschaftskritische Einsicht zu stellen,  mit der kein Staat und keine konstruktive Politik zu machen ist. Jene  nämlich, dass jede Sorge um die Nation und jeder Appell an den Staat  letztlich eine Parteinahme gegen die Menschen ist – hier und erst recht  anderswo. Jede Forderung nach dem Gemeinwohl, der staatlichen Garantie  der Menschenrechte oder einer Stärkung der Binnennachfrage und jede  soziale Befriedung durch Almosen ist langfristig ebenso gegen die  Menschen gerichtet, wie sie nur notwendig ist, solange sich die Linken  weiterhin den Kopf von Staat, Nation und Kapital zerbrechen. Denn das  kapitalistische Staatensystem ist zwar voller Konfliktherde und der Grad  seiner Zumutungen für die Menschen variiert. Und je nach  Kräfteverhältnissen im Staat und dessen Stellung auf dem Weltmarkt  bedeutet das mitunter sogar einen Unterschied von Leben und Tod. Aber  nur wenn sich die Radikalität der Linken nicht weiterhin darin  erschöpft, die Konflikte des Staatensystems entweder bloß zu  kommentieren oder sich gleich auf eine Seite der staatlichen Akteure zu  schlagen, werden sich praktische Ansätze dafür entwickeln lassen, dass  vielleicht Morgen endlich jene Dinge passieren, die heute noch alle für  unmöglich halten. Die rund um den 3. Oktober begangenen Feiern des  deutschen Gewaltmonopolisten als Teil des europäischen Standortes sind  in diesem Sinne nur als ein Höhepunkt der Angriffe auf das schöne Leben  und die befreite Gesellschaft zu begreifen. Es wird Zeit, dass die Linke  diesen Angriffen auch jenseits der Events endlich die passende Antwort gibt.
Antinationalismus muss praktisch werden…
Den Standort Europa sabotieren!
Für den Kommunismus!
[1] Um interessierten Missverständnissen und dem  Applaus aus der falschen Ecke vorzubeugen: Die inhaltliche Kritik am  antideutschen Identitätskarneval und seinem alternativem Nationalismus  hat mit den reflexhaften und ressentimentgeladenen Gewaltausbrüchen der  antiimperialistischen NationalistInnen (vor allem) gegenüber  Israel-Fahnen-TrägerInnen nichts zu tun. Siehe dazu u. a.: www.antifa-frankfurt.org/innerlinke_Diskussion/sieben_stichpunkte.html