EUROPA.DEUTSCHLAND.KÖLN ALLES SCHEIßE!
DE*NATIONALIZE!
Am 9. Mai 2009, dem Europatag, wird es wieder heißen, dass „die demokratischen Kräfte, die Kölner Zivilgesellschaft, den Rassist_innenkongress nicht hinnehmen wollen“. Die „demokratischen Kräfte Deutschlands“ zeigen sich geläutert und darum gelte es den „guten Nationalismus“ der bundesrepublikanischen Deutschen gegen den „bösen Nationalismus“, welcher am 8. Mai 1945 in Form NS-Deutschlands untergegangen ist, zu verteidigen. So wie die Deutschen 60 Jahre lang ihre BRD-Verfassung gehütet und vor 20 Jahren die Mauer niedergerungen haben, soll nun Köln wieder durch die Kölner_innen vor den „Braunen“ gerettet werden.
60 Jahre nach dem Ende des 2. Weltkriegs scheint die Nation Deutschland ihre Niederlage aufgearbeitet zu haben und die deutsch-nationale Identität im neuen Licht zu erstrahlen. Das nationale Wir wird gegen die Rechtspopulist_innen in Stellung gebracht, zur Verdauung der Schuld am 2. Weltkrieg animiert und als Garant für die Überwindung von Finanzund Wirtschaftskrise präsentiert. Ganz nach dem Motto „Wir, die Deutschen, haben gelernt und können stolz auf uns sein“, wird mit der Vergangenheit abgerechnet und die eigene Stellung innerhalb Europas gesichert.
Deutschland? Nie Wieder!
Der 8. Mai steht in diesem Kontext als umgedeuteter geschichtlicher Moment. Der Tag der Befreiung, das offizielle Ende des Nationalsozialismus und damit das Ende eines deutschen Verbrechens mit universellem Ausmaß, wird zur europäischen Katastrophe umgedeutet, aus der die Notwendigkeit für ein geeintes Europa, für Frieden und Kooperation im „alten Kontinent“ entstanden sei. Der Zweite Weltkrieg und damit auch die Shoa – wird somit zum Gründungsmythos der Europäischen Union. Diese rückblickenden Sinnstiftungen des 1. und 2. Weltkrieges sind ein Projekt, um eine nationale europäische Identität zu begründen. Gleichzeitig nutzt Deutschland die Gelegenheit, um die Schuld an den beiden Kriegen und die Erinnerung an die deutschen Verbrechen in einem europäischen Zusammenhang zu entwirklichen.
Die verallgemeinerten Leiden während des 2. Weltkrieges, der Verzicht auf eine Differenzierung zwischen deutschen Verbrechen und alliierten Kriegsmaßnahmen, bilden den Kitt dieser deutsch-nationalen Geschichtsumdeutungen. So werden deutsche Täter_innen, wahlweise als tote Zivilbevölkerung durch alliierte Bombenangriffe, als „Vertriebene aus angestammten Gebieten“ oder als das „Teilungsvolk“ des Kalten Krieges unter die Opfer-Kategorie subsumiert.
Die Umdeutung der Niederlage im 2. Weltkrieg ist die Grundlage für den neuen ideologischen Identitätsaufbau Deutschlands und dessen Verortung innerhalb Europas. Die Schrecken der Kriege sollen erinnerungspolitisch als Begründung einer „Schicksalsgemeinschaft Europa“ dienen und eine Zusammengehörigkeit formulieren, die sich in gemeinsamen wirtschaftlichen, politischen, ideologischen und kulturellen Formen manifestieren würde.
Die neue Heimat Europa verraten!
Diese vermeintliche Zusammengehörigkeit, die in der Parole der Nation der Nationen mündet, soll wie jeder Nationalismus über nichts weiter hinwegtrösten, als dass den meisten Menschen nur der Mist der permanenten Selbstverwertung als „Humankapital“ auf dem Markte bleibt. Die Identifikation mit dem „nationalen Wir“ verspricht den in Konkurrenz zueinander Stehenden und durch die blinden MarktgesetzeBeherrschten, eine selbstbestimmte Politik gegen die täglichen Ohnmachtserfahrungen. Dabei ist die Identifikation mit dem nationalen Kollektiv für den Standort von Vorteil, er erhöht die Leistungsbereitschaft seiner Bürger_innen und garantiert so einen Wettbewerbsvorteil für die eigene Nation. Dieser Wettbewerbsvorteil ist für die jeweiligen Staaten auch nötig, schließlich hängt ihre Souveränität von der Akkumulationsfähigkeit ihres nationalen Wirtschaftsraums einschließlich des Weltmarkterfolges ab.
Die Europäische Union ist insofern eine Zweckgemeinschaft konkurrierender Nationen. Die Gründung der Montanunion 1952 und die weitere Institutionalisierung des europäischen Rahmens in Bereichen der Währungs-, Handelsund Wettbewerbspolitik manifestierte die Notwendigkeit von wirtschaftlicher Kooperation innerhalb kapitalistischer Konkurrenz.
Die einzelnen Staaten übertragen ihre Konkurrenzbestrebungen, die sie einzeln nicht verwirklichen können, auf Europa, um in der Welt als Global Player Stellung zu nehmen. Gleichzeitig wird auch der Wettbewerb nach innen vorangetrieben, damit aus der innereuropäischen Konkurrenz ein hohes Niveau entsteht. Den einzelnen Staaten kommt die Funktion zu, die Verträge und Vorgaben der E.U. durchzusetzen, um den gemeinsamen Wettbewerb und dessen Zielsetzung zu sichern.
Ideologisch wird das Projekt Wettbewerbsgemeinschaft Europa durch die Propagierung eines neuen „weltoffenen“ europäischen Nationalismus flankiert. Der aus der Geschichte zusammengeschweißten Nation wird die Propagierung eines „europäischen Kapitalismus“ als Gegensatz zum „US-amerikanischen Turbokapitalismus“ und der „Barbarei des Orients“ hinzugefügt. Die Staaten der E.U. verstehen sich als weltpolitische Vorbildsmodelle von perfekt demokratisch funktionierenden Nationalstaaten. Europa steht somit nicht nur für Frieden, sondern auch für eine abendländische Kultur und sozialverträglich geordneten Kapitalismus. Gerade der Krisengewinner und Exportweltmeister BRD möchte sein Modell der sozialen Marktwirtschaft für Europa und der ganze Welt als Exportschlager verkaufen. Ordnungspolitisch geht es dabei um die Sicherung der Massenloyalität auch unter der Lohnarbeiterschaft, egal welcher So-
zialabbau auch ansteht und wie sich die Weltmarktkonkurrenz auch verschärft die Europäer_innen eng verschweißt mit ihren europäischen Nationen gegen die „Heuschreckenglobalisierung“.
Es ist dieser „europäische Aufklärungsnationalismus“, der selbst die autoritären und antiamerikanischen Versatzstücke liefert, den die Rechtspopulist_innen in ihr Nationenverständnis eines „europäischen Abendlandes“ eingliedern. Das „nationale Wir“ von dem aus Rechtspopulist_innen agieren wird von den demokratischen, zivilgesellschaftlichen Akteur_innen frei Haus geliefert, ohne dass ihr Nationenverständnis durch das der Rechtspopulist_innen ernsthaft gefährdet würde.
„Die Bekämpfung des Rassismus mit den Mitteln der Demokratie ist wie das Löschen des Feuers mit den Mitteln des Brandstifters“
Wer also vom Rechtspopulismus spricht, darf von der Demokratie nicht schweigen. Die Mehrheit der Gegner_innen der rechtpopulistischen Bewegung erklären ihre Gegnerschaft zumeist mit den Stichworten Rassismus und Demokratie. Der Rassismus der Rechtspopulist_innen wird dabei immer wieder explizit oder implizit als Gegensatz zur demokratischbürgerlichen Ordnung dargestellt. Jedoch ist es der demokratische Normalbetrieb, der die nationalistische Ideologie und somit den Rassismus hervorbringt. Das antirassistische Selbstbild der Demokratie ist bloß die Folge der Unterscheidung zwischen den Rassismen, die als unzeitgemäß gelten und solchen, die in der Demokratie anerkannt und üblich sind. So gilt die Unterscheidung zwischen „Inländern“ und „Ausländern“ nicht als Rassismus. Die Ungleichbehandlung von Menschen durch das Staatsbürgerschaftsrecht und die Ausländergesetzgebung gilt in der Demokratie als bloßer politischer Nachvollzug, als eine Verrechtlichung von Phänomenen, die ihren Grund in einer dem Staatsbürgerkollektiv „gemeinsamen Kultur“ und „Identität“ hätten.
Die Toten in den Gewässern vor Lampedusa und Gibraltar sind nicht das Werk von Le Pen oder Haider. Die Abschottung Europas an seinen Außengrenzen mit all ihren mörderischen Folgen geht auf das Konto des demokratischen, rassistischen und nationalistischen Normalbetriebs in Europa. Der Forderung nach der faktischen Abschaffung des Asylgesetzes 1993 haben Nazis zwar auf den Straßen Nachdruck verliehen, die Forderung aufgestellt haben aber Schröder und Lafontaine.
Demokratischer Rassismus und Nationalismus entspringen dabei aus der tagtäglichen innergesellschaftlichen Konkurrenz. Die internationale Konkurrenz zwischen „heimischem“ und „migrantischem“ Fachpersonal ist nur eine Erscheinungsweise ein und desselben Kapitalverhältnisses, das die Mehrheit der Menschen weltweit für die Kapitalverwertung überflüssig und zu Empfänger_innen von Unterhaltsleistungen oder humanitären Hilfsaktionen macht.
Die nationale Identifikation entsteht als Reaktion auf die grundlegenden Bedrohungslagen bürgerlicher Individualität unter dem ständigen Verwertungsdruck, also aus Futterneid und Konkurrenzzwang. Das „nationale Wir“ verspricht zwar keinen unmittelbaren ökonomischen Effekt, bereits die symbolische Demütigung der „Anderen“ wirkt versichernd. Sie verschafft den Menschen, die in der kapitalistischen Konkurrenz tagein tagaus herumgeschubst werden, die beruhigende Gewissheit, eine Identität und ein paar Wurzeln zu haben.
Gleichzeitig ist den demokratischen Nationalist_innen durch die gesellschaftliche Wirklichkeit von Privateigentum und Daseinssicherung gelehrt, dass ein gutes Leben im Kapitalismus, nur als stets gefährdetes Privileg zu haben ist. Die konkurrierenden Individuen und Belegschaften bilden als Staatsvolk eine „objektive Schicksalsgemeinschaft“. Die individuellen und betrieblichen Chancen im globalen Konkurrenzkampf hängen von der ökonomischen Potenz des Staates ab, was sich an Währung, Subventionen, etc. zeigen lässt. Darum ziehen demokratischer Staat und verstaatlichtes Individuum an einem Strang, wenn es darum geht, den Kreis der Anspruchsberechtigten zu beschränken und die Pflichten der Zugehörigkeit zu erhöhen.
„Der gute Demokrat bietet Verdrängung, der böse Populist Entladung.“
Den nationalen Demokrat_innen, egal ob Europäer_innen oder Deutsche, geht es in ihrer Politik darum, den Standort wettbewerbsfähig zu halten und im offenen Meinungsaustausch der politischen Vermittlung die optimalsten Strukturbedingungen des Standorts für die Verwertung des Kapitals zu finden.
Die Demokratie bietet die Verdrängung der Ohnmacht der Einzelnen durch den Verweis darauf, dass der Staat dafür gerade stehe, dass es in der sozialen Marktwirtschaft „gerecht“ und „geordnet“ vor sich gehe und jede/r sein/ihr Kuchenstück an der Reichtumsverteilung bekomme. Das Geschäft der autoritären Rechtspopulist_innen liegt darin begründet, dass die Kuchenstücke, die zu verteilen sind, kleiner werden und die so genannte Krise des Sozialstaats sich in Ein-Euro-Jobs und anderen Erniedrigungsformen manifestiert. Die Verdrängung der Ohnmacht funktioniert kaum noch, dafür macht der Rechtspopulismus nicht die Krise im Verwertungszusammenhang sondern das „alte Establishment“ verantwortlich. So hätten die Politiker_innen „ihr Volk“ an „Heuschrecken“ und EU-Zentralismus verkauft und die angebliche Souveränität von Politik über Staat und Kapital aufgegeben. Der Rechtspopulismus ist insofern eine konformistische Rebellion gegen die „alten Autoritäten“, die nicht mehr im Stande sind, ihr Versprechen von Sozialpartnerschaft und sozialer Gerechtigkeit zu erneuern. Das Programm, das Rechtsaußen bietet, ist das „nationale Wir“ gegen „die Anderen“ in Stellung zu bringen und die nationalen Privilegien durch den autoritären Staat durchzusetzten. Die angebliche Souveränität der Politik verspricht der autoritäre Populismus mit dem Mittel einer „Volksdemokratie“ herzustellen.
Der vermeintliche Gegensatz von Demokratie und Rassismus bekommt seine gesellschaftspolitische Entsprechung in dem konstruierten Gegensatz von Zivilgesellschaft und Rechtspopulismus. Gerade linke und linksliberale Kreise huldigen der liberalen bürgerlichen Gesellschaftsordnung und ihren Akteur_innen, wenn es darum geht, sie gegen das „schlimmere Übel“ zu verteidigen.
Dabei geht es längst nicht darum, ob staatlich verbriefte Bürgerrechte in Gefahr sind, also die Formierung einer autoritären Gesellschaftsordnung vor der Tür steht, denn diese Formierung wird schließlich von selbigen zivilgesellschaftlichen Akteur_innen tagtäglich toleriert oder sogar vorangetrieben, sondern um die Machtphantasien der staatsfixierten Linken.
Zivilgesellschaft definiert sich nach Dafürhalten jener Linken und anderen Befürwortern aus politischen und sozialen Oppositionen zu den Übeln, die der tagtägliche kapitalistische Wahnsinn so bereithält. Diese Unstimmigkeiten mit den herrschenden Zuständen werden sodann zu potenziellen Systemgegnerschaften verklärt, die sich bei der richtigen Agitation und Propaganda einfach freisetzen ließen. Dabei erhält jene ominöse Zivilgesellschaft einen Sonderstatus in den linken Staatsinterventionen. So solle die Zivilgesellschaft als Gegenspieler zu den „Bonzen und ihrem Staate“ in Erscheinung treten. Denn egal ob es gerade gegen die „Finanzhaie an der Wall Street“ oder die Nationalsozialist_innen von der NPD geht, die Zivilgesellschaft ist dazu da, den bürgerlichen Staat an seine (vermeintlichen) Aufgaben zu erinnern: Die Einhaltung seiner eigenen Rechtsgrundlagen, die Sicherung seiner Souveränität, die Erhaltung der repräsentativen Demokratie, also damit auch die Versicherung für die kapitalistischen Produktionsverhältnisse.
Dass jenen zivilgesellschaftlichen Akteur_innen überhaupt diese Machtressourcen zugesprochen werden, liegt an den uneingestandenen Funktionen der Akteur_innen, die sie in der „nationalen Schicksalsgemeinschaft“ ausfüllen. Gerade in der BRD sind Bourgeoisie und Proletariat durch die sozialen Transfersysteme objektiv im internationalen Wettbewerb und ideologisch untermauert zusammengeschweißt zu einer „nationalen Gemeinschaft“.
Die Befindlichkeiten der nationalen Arbeitskraft muss in den Interessen der Wirtschaftszweige berücksichtigt werden. Diekonkurrierenden Interessenstandpunkte zwischen Lohnarbeit und Kapital sind, um Erfolg zu haben, an die
Nationalökonomie als Ganzes geknüpft. Somit sind jene beliebten zivilgesellschaftlichen Akteur_innen schlicht staatsnahe Interessenverbände, die in Deutschland für Deutschland ihren Geschäften nachgehen.
„Denn he hält m’r zesamme, Ejal, wat och passeet. En uns’rem Veedel.“
Nicht der „Anti-Islam-Kongress“ von pro Köln ist der Skandal, den es selbstverständlich zu verhindern gilt! Nein, der eigentliche Skandal ist jenes gesellschaftliche Gefüge von Staat, Nation und Kapital, das den tagtäglichen rassistischen und nationalistischen Wahnsinn produziert, und für dessen Verhärtung „pro Köln“, „FPÖ“, „Vlaams Belang“, „Lega Nord“ und wie die Organisationen der Arschlöcher alle heißen mögen, einstehen. Es ist vollkommen klar, dass zwischen den verschiedenen Nationalismen Differenzen bestehen, die auch für eine Migrantin, Jüdin oder Linke, die von Nazis bedroht und angegriffen wird, den Unterschied zwischen Leben und Tod ausmachen können. Jedoch die Idealisierung von Staat und Nation in Form der Beschwörung von Demokratie und Zivilgesellschaft trägt mit zur nationalen Identifikation bei.
Der Antifa AK Köln ruft dazu auf, sich am Wochenende des 8. bis 10. Mai der „kölschen Volksfront“ für Demokratie und bessere Nation zu verweigern. Testen wir am 8. Mai die Toleranz der Kölner Jecken und tragen unsere Kritik am staatsbürgerlichen Geschichtsrevisionismus, dem Abfeiern der Nationen Europa, Deutschland und des Teufelskreises von Staat und Kapital auf die Straße. Das zweite Wochenende im Mai wird genug Gelegenheiten bieten, um mit den Rechtspopulist_innen Spiel, Spaß und Freude zu erleben!
antifa ak köln
DE*NATIONALIZE!
EUROPA.DEUTSCHLAND.KÖLN – ALLES SCHEIßE!
linksradikale Demonstration
08 | 05 | 2009
19h Köln Hbf