Vor 68 Jahren in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 brannten in ganz Deutschland und Österreich Synagogen und jüdische Einrichtungen. In Köln wurden alle sechs Synagogen in dieser Nacht angegriffen und über 500 Jüdinnen und Juden von der Gestapo nach Dachau verschleppt. Die Pogrome richteten sich auch gegen jüdische Cafés, Gaststätten, Geschäfte und Einrichtungen. Kölner Jüdinnen und Juden wurden aus ihren Geschäften gejagt und in ihren Wohnungen verprügelt – einer wurde totgeschlagen. In „Judenhäusern“ und Internierungslagern, wie dem Messelager in Deutz, wurden sie zusammengepfercht. Am 12. November wurden unter Görings Leitung die vollständige Enteignung der jüdischen Bevölkerung und ihr faktischer Ausschluss aus dem öffentlichen Leben beschlossen. So mussten bis zum Jahresende die verbliebenen jüdischen Geschäftsleute ihre Betriebe schließen. Jüdinnen und Juden wurde der Besuch von öffentlichen Veranstaltungen wie Theater, Kinos, Konzerten oder Ausstellungen verboten. Jüdische Einrichtungen wurden geschlossen oder durch Arisierungen von Deutschen übernommen. Die Masse der Bevölkerung schaute den Pogromen und den anschließenden Verfolgungsmaßnahmen schweigend zu.
Der 9. November 1938 kam nicht unerwartet, plötzlich oder gar aufgrund des von den Nazis bis heute als Rechtfertigung herangezogenen Attentats auf den deutschen Botschafter in Paris. Schon am 1. April 1933 fanden in Köln Boykottage gegen Jüdinnen und Juden statt, bei denen diese gedemütigt, misshandelt und durch die Stadt getrieben wurden. Zwischen 1933 und 1937 wurden Jüdinnen und Juden durch Gesetze aus fast allen Berufen gedrängt. 1935 wurden die so genannten Nürnberger Rassegesetze verabschiedet. Durch verschiedene Verordnungen verschärfte sich im Laufe des Jahres 1938 die Lebenssituation für Jüdinnen und Juden in allen gesellschaftlichen Bereichen: Registrierungsmaßnahmen von Vermögen, Meldepflichten für jüdische Gewerbebetriebe, Zwang zum Namenszusatz „Sarah“ für alle Jüdinnen und den Zusatz „Israel“ für alle Juden, Berufsverbote für jüdische Ärztinnen und Ärzte, Kennzeichnung aller Pässe jüdischer Bürgerinnen und Bürger mit einem „J“ und die Ausweisung hunderter Jüdinnen und Juden mit polnischer Staatsangehörigkeit, die meist schon seit Jahrzehnten in Köln gelebt hatten. Begleitet wurden diese Maßnahmen von einer massiv antisemitischen Propaganda, die bei vielen Deutschen auf Zustimmung traf. Als das von der NSDAP und staatlichen Stellen inszenierte Pogrom am 9. November 1938 losbrach, haben es alle mitbekommen, doch fast niemand aus der Bevölkerung hat Widerstand geleistet. Innerhalb von vier Tagen wurden im ganzen Land fast 8.000 jüdische Geschäfte geplündert und zerstört, 267 Synagogen wurden niedergebrannt oder gesprengt. Zeitgleich wurden über 25.000 Jüdinnen und Juden verhaftet. Während mindestens 91 von ihnen sofort ermordet wurden, deportierten die Nazis weitere 3.000 in Konzentrationslager, wo die meisten später einen qualvollen Tod durch Zwangsarbeit starben oder in den Gaskammern ermordet wurden. Von den 1933 in Köln lebenden 750.000 Menschen waren rund 20.000 Menschen jüdischen Glaubens. Neben Bethäusern und Gemeindezentren unterhielten sie Kindergärten und Schulen, Krankenhäuser und Altenheime, Kulturvereine und Sportclubs. Nach dem Krieg waren alle Synagogen und jüdischen Einrichtungen in Köln zerstört. Von diesen 20.000 Jüdinnen und Juden schafften nicht einamal 50, sich zu verstecken um von dem antisemitischen Wahn verschont zu bleiben.
Gegen „Deutsche Normalitäten“!
Nach 68 Jahren wird von der politischen Klasse die „neue deutsche Normalität“ verkündet. Bundespräsident Horst Köhler erklärte 2005 vor dem israelischen Parlament zwar, dass „die Verantwortung für die Shoah […] Teil der deutschen Identität “ sei, gleichzeitig vollzieht sich jedoch im deutschen erinnerungspolitischen Diskurs eine Relativierung der Shoah. So verkündete derselbe am 8. Mai 2005: „Wir trauern um alle Opfer Deutschlands…“ Schon längst sind die Relationen zwischen Täter und Opfer im Diskurs verschwommen. Die grassierende Dekontextualisierung hat Jede und Jeden, der/die persönliches Leid erfahren hat in die Opfer-Kategorie verschoben. Organisatorisch und praktisch wird dieser Revisionismus durch das Projekt „Zentrum gegen Vertreibung“ vorangetrieben, das in Zusammenarbeit der Deutschen Regierung und des Bundes der Vertriebenen geplant wurde. In diesem Projekt wird durch die Aufrechnung der umgesiedelten Deutschen aus den osteuropäischen Ländern sowie mit vielen weiteren Tote aus verschieden Ländern in verschieden Zeiten mit den entsetzlichen Verbrechen deutscher Täter und Täterinnen über 6 Millionen jüdischen Opfer die Shoah relativiert. An die Stelle der Leugnung deutscher Verbrechen tritt heute verstärkt die Verklärung deutscher TäterInnen zu Opfern. Entgegen dem Geschichtsrevisionismus „neuer deutscher Art“ wollen wir heute deutlich sagen, dass deutsche TäterInnen keine Opfer waren und für uns auch niemals sein werden. In Zeiten des „deutschen Opfertums“ blüht der Antisemitismus in der deutschen Bevölkerung wieder verstärkt auf. Heute tragen die Alt- und Neu-Nazis ihren antisemitischen Vernichtungswahn wieder auf die Straßen. So versuchen Nazis auch in NRW seit Jahren mit provokanten Aufmärschen und Aktionen die Gedenkveranstaltungen am 9. November zu stören und für ihre antisemitische Propaganda zu missbrauchen. 2004 marschierten sie unter dem Motto „Gegen einseitige Vergangenheitsbewältigung“ durch Leverkusen und verhöhnten die Opfer der Shoah mit Rufen wie „Die schönsten Nächte sind aus Kristall“. 2005 wollten die Nazis einen Fackelmarsch vor der Synagoge in der Roonstraße veranstalten, welcher durch die Polizei und Gerichte kurzfristig verboten wurde. In Zeiten von Anschlägen auf Synagogen, Schändungen von Gedenkstätten und jüdischen Friedhöfen müssen wir die Erinnerung an die historischen Verbrechen vom November 1938 wach halten. Der 9. November steht für die Brandstiftung und Zerstörung von Synagogen und anderen jüdischen Einrichtungen, für die Verschleppung von tausenden Menschen in die Konzentrations- und Vernichtungslager , für die Entrechtung von Menschen jüdischen Glaubens durch Sondergesetze und Ghettoisierung, für den organisierten Raub jüdischen Eigentums durch die Praxis der „Arisierungen“. Große Teile der Kölner Bevölkerung hatten sich damals an der Vernichtung der Juden in Europa beteiligt, davon profitiert oder geschwiegen. Wir rufen auf zu einer antifaschistischen Demonstration gegen die neue alte Deutsch-Tümelei, gegen Geschichtsrevisionismus und jegliche Form der Relativierung oder Umkehrung deutscher Schuld an der Shoah.
Antisemitismus bekämpfen! Nie wieder Faschismus!