Du Opfer, was willst du machen? oder: Integration am & für‘n Arsch

„Viele deutsche Schülerinnen und Schüler empfinden sich als eine abgelehnte, provozierte, diskriminierte Minderheit“: so beschreibt “unsere” Familienministerin Schröder die Schreckensszenarien der deutschen Gartenzwerge, die den Kartoffelbestand der Republik vom Aussterben bedroht sehen.

Wo in der Bundesrepublik zunächst das Konzept von “Blut und Boden” eine ethnisch homogene Nation sicherte und sich selbstbewusste Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft bewährten, ist diese Vorstellung spätestens seit der Einsicht, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist, aus der Mode gekommen. Der Begriff der Integration nimmt ein zentrales Moment in der Ideologie ein. Dabei fasst er Forderungen an Migrant*innen und Untergangsszenarien zusammen, die in immer neuen politischen Maßnahmen münden.

Die Idee der Integration von Migrant*nnen entwickelte sich in den 70er Jahren aus der Vorstellung, dass sich „Ausländerghettos“ bilden würden, in denen sich sozialer „Sprengstoff“ auflade, welcher notfalls staatlicher Interventionen bedürfe. Einst sah sich auch Bismarck angesichts drohender roter Revolutionen bemüßigt, den „sozialen Frieden“ zu managen. Damals stand das Proletariat als vierter Stand außerhalb, rechtlos und rebellisch der bürgerlichen Gesellschaft gegenüber. Alle Staaten begannen in der verschärften Konkurrenz auf dem entstandenen Weltmarkt (Phase des Imperialismus) damit, aktive Bevölkerungspolitiken zu entfalten. Wo der Konkurrenzkampf sich um den nationalen Anteil am global produzierten Reichtum auf dem globalen Markt zuspitzte, wurden auch “weiche” Faktoren (wie z. B. der Bildungsgrad, die Disziplinierung und die Strebsamkeit der Bevölkerung) für die Standortkonkurrenz entscheidend.

Vor dem Hintergrund der Entwicklung des Kriegs zum industriell geführten Massenkrieg und mit der daraus zwangsweise resultierenden, zunehmenden Produktionsmacht der Arbeiter*innen wurde deren Integration ins staatsbürgerliche Kollektiv Ende des 19. Jahrhunderts zu einem zentralen Problem für die militarisierten Großmächte. Für die industrielle Kriegsführung waren die Big States auf die „Ruhe an der Heimatfront“ angewiesen. Zudem stellte sich damals für die Staaten das kapitalismusimmanente, immer wiederkehrende „Dauerproblem“ der Integration von Subjekten in das Lohnarbeitsverhältnis. Denn „der Eigentumslose ist mehr geneigt, Vagabund und Räuber und Bettler als Arbeiter zu werden“ (MEW 42, 631). Sozialpolitik als die Bevölkerung regulierende Politik muss zusammen mit staatlicher Repression das Ausweichen in andere Geldbeschaffungsweisen (Betteln, Plündern etc.) verhindern. Der Sozialstaat war also von jeher nichts anderes als ein Instrument der Unterdrückung im neuen Gewand – der*die Arbeiter*in integriert ins Bürger*innentum.

Es wird deutlich: „Integration“ betrieb der Staat noch nie zum Zweck einer Verbesserung der Lebenslage der von ihnen zur Integration Auserkorenen, sondern vielmehr für den Erfolg in der Standortkonkurrenz. Als gewalttätiger Garant der bürgerlichen Ordnung versucht der Staat mittels Bevölkerungspolitik seinen Bürger*innen eine dem Staat und Kapitalverhältnis zusagende Lebensweise nahezulegen und gleichzeitig durch Mechanismen sozialer und rassistischer Ausgrenzung ein loyales Staatsvolk zu konstruieren. Dazu konnte er – history proves – oft genug auf den vorauseilenden Gehorsam und die nationalistische Zustimmung großer Teile eben dieses „Volkes“ zählen. Während des ersten Weltkrieges z. B. drückte sich dieser nationalistische Sozialchauvinismus im Eintreten für die „Vaterlandsverteidigung“ aus. Was die von ideologischer Kriegsgeilheit besessene Bevölkerung dann in der bitteren Realität empfing, waren die Leichenfelder von Verdun und Tannenberg.

Der Sozialchauvinismus zeigt sich in sozialen und rassistischen Ausgrenzungen, welche sich in der Verweigerung gleicher Rechte für alle hier lebenden Menschen zeigt. Die Ausgrenzung findet ihren Ausdruck in der ideologisch aufgeblasenen Konstruktion der kulturellen Differenzen. Der*die Einzelne soll nicht mehr ein eigenständiges, einzigartiges Individuum, sondern automatisch kulturell bestimmt und geprägt sein. Die “andere” Kultur soll den Ausschluss und die Benachteiligung bestimmter Gruppen legitimieren. Diese Einteilung kann sich sogar als Antirassismus präsentieren, wenn nämlich diese Trennung der Kulturen respektvoll als „Multikulti“ euphorisiert wird – diesem Irrweg der vergoldeten Scheiße verfallen nicht selten bürgerliche und vermeintlich linke Pseudo-Antirassist*innen, wenn sie sich durch „Multikulti ist cool“ als Toleranzbollwerke gegen Nazis präsentieren.

Der kulturalistische Rassismus wendet sich vor allem gegen jene, die nicht in das herrschende, konstruierte Idealbild der bürgerlichen Gesellschaft passen. Dieses herrschende Idealbild orientiert sich u. a. am Fortschrittsglauben von Arbeit und Staat, welcher sich im Übergang zur bürgerlichen Gesellschaft herausbildete und verfestigte. Die Konsequenz daraus ist, dass man sich negativ auf all jene bezieht, die am kapitalistischen Fortschritt keinen Anteil haben. Insofern trifft die Ausgrenzung auch nicht nur „die Ausländer“, sondern auch die als „Sozialschmarotzer“ diffamierten “Justins und Jacquelines”. Entscheidend bleibt, dass über alle Konjunkturlagen hinweg durch Ausschluss konkreter Gruppen aus der Gemeinschaft der*die Einzelne sich als Teil der Mehrheitsgesellschaft fühlen und damit das eigene Selbstwertgefühl gehörig aufbessern kann und soll.

In der Zeit der Anwerbestopps von Gastarbeiter*innen und der Stagnation der Weltwirtschaft in den 70er Jahren waren es eben die Migrant*innen, die – außerhalb der nationalen Gemeinschaft stehend – als potentielle Unruhestifter*innen ausgemacht und deshalb als „noch zu integrieren“ eingestuft wurden. Die Migrant*innen gelten dabei nicht nur den lästigen Gartenzwergen als Unruhestifter, denn es geht bei der Integration der Migrant*innen wie damals bei der Integration der Arbeiter*innen im Kern um nichts anderes als um die Vermeidung von sozialen Unruhen, also die Aufrechterhaltung der sog. „inneren Ruhe“. Denn Integration übersetzt die Forderung nach weniger rassistischer Ausgrenzung in eine individuell von Migrant*innen zu erbringende Leistung. Die Bevölkerung erscheint aneinander angeglichen und Rechte und Pflichten jedes*jeder Einzelnen scheinen gerecht verteilt. Das Integrationsparadigma verfährt dabei – simpel und klar nach Nützlichkeit orientiert – immer in der Spaltung in „gute“ und „nicht gute“ Ausländer*innen.

Diese Verschärfung des Kulturkampfes – sowohl vom Staat als auch von Teilen der Bevölkerung – und der allgegenwärtige Sozialchauvinismus fußen auf einer allgemeinen Brutalisierung des Sozialstaats. Die „soziale Marktwirtschaft“, die als Kapitalismus mit menschlichem Antlitz verkauft wurde, hat ihren fürsorglichen Charakter längst verloren. Im kapitalistischen Globalisierungsschub seit 1989/90 hat Deutschland konsequent soziale Garantien beschnitten. Aus sozialen Rechten wurden Ermessensleistungen der staatlichen Arbeits- und Sozialverwaltung. Und während die Gewerkschaften zu Hause den sozialen Frieden hüteten, konnte die deutsche Exportindustrie den globalen Markt erobern und sich wenigstens hier als Weltmeister feiern. Die realen Maßnahmen grenzen an administrativen Sadismus; die Unterschicht soll nicht unproduktiv in warmen Wohnungen sitzen und sich sinnlos vermehren. Aus deren Kindern wird nämlich im Durchschnitt eh nichts. Heute sind es nicht primär Kriege, sondern der ökonomische Erfolgswille, der das bürgerliche „Wir“ in der Krise des Kapitalismus gegen vermeintliche Sozialschmarotzer*innen und Integrationsunwillige antreten lässt. So soll der Sozialstaat nicht die bürgerliche Existenz aller sichern, die gerade “unproduktiv” sind, sondern nur derjenigen, die Teil der Mehrheitsgesellschaft sind. In der kulturellen Blase lässt sich die eigene Existenzangst gut kompensieren, indem sie das Ticket zum Sozialstaat ermöglicht und einige andere Konkurrent*innen schlicht und ergreifend raus fliegen. Dass dieser verdammte Sozialchauvinismus als Menschenfreundlichkeit durchgeht, sagt alles über die faktisch objektive Menschenfeindlichkeit des entwickelten Kapitalismus aus.

„Es könnte natürlich noch viel schlimmer kommen“. Na und? Die vom Hier und Jetzt produzierte Scheisse ist schon mehr als genug… Werden wir sie endlich los.