Eine Frage der Haltung: Solidarität mit Rojava – jenseits von „Bauchschmerzen“ und Romantisierung

Eine Stellungnahme der Interventionistischen Linken Köln und dem Antifa AK Köln (organisiert bei …ums Ganze!)

kobaneIm Rahmen zur Mobilisierung gegen die Innenministerkonferenz 2014 in Köln wurden wir mittlerweile von einigen Genoss*innen auf die inhaltlichen Positionen dieses Bündnisses angesprochen. Hierzu wollen im wir im Folgenden kurz Stellung beziehen.

Die diesjährige IMK steht im Kontext einer geopolitisch brisanten Lage. Während der religiös-fundamentalistische “Islamische Staat” in Syrien und Irak mit brutalsten und mörderischen Mitteln u.a. gegen progressive kurdische Selbstverwaltungsprojekte die Macht erobern will
und dadurch tausende Menschen fliehen müssen, spielt Deutschland eine tragende Rolle in der Abschottung Europas gegen Flüchtende und Migrierende. Das breite Bündnis „NO IMK“ – bestehend aus antirassistischen, linken sowie kurdischen Gruppen und Organisationen – hat sich daher im Wesentlichen auf zwei inhaltliche Eckpunkte geeinigt. Diese lauten „Grenzen überwinden!“ sowie „Weg mit dem PKK-Verbot!“. Während erste Forderung aus linker Sicht ziemlich unumstritten sein dürfte, ist die Breite an Linken, die die zweite Forderung (PKK-Verbot-Aufhebung) unterstützt, neu. Auch wir haben bei uns in den Gruppen intensiv diskutiert und sind zu dem Schluss gekommen, diese Forderung, die ja von einigen Genoss*innen als „appellativ“ und damit kategorisch als nicht radikal genug disqualifiziert wird, zu unterstützen; nicht etwa nur der „Bündnisfähigkeit“ und unseren kurdischen Freund*innen zuliebe, sondern ganz bewusst als Teil der deutschen radikalen Linken, der sich bis dato von der PKK tendenziell distanzierte.

Die PKK hat jahrelang autoritäre Kommunikationsgebaren und einen sehr rigiden internen Führungsstil an den Tag gelegt. Dies wurde begleitet von Verfolgung jeglicher innerorganisatorischer Opposition und endete für einige Kritiker*innen (auch aus den eigenen Reihen) tödlich. Wir erinnern an dieser Stelle an den Tod des Hamburger Sozialarbeiters Kürsat Timuroglu , der 1986 auf offener Straße in Hamburg erschossen wurde. Die politischen Freund*innen und die Familie von Timuroglu vermuteten, dass der/die Täter*in ein/e Auftragsmörder*in der PKK oder zumindest aus ihrem Umfeld war. Konkrete Verantwortung für die Drangsalierung und Tötung von Dissident*inen hat die PKK niemals übernommen.

Insbesondere aus unserem undogmatischen Spektrum erntete sie dafür, vor allem in ihren Exilstrukturen hier in Deutschland und Europa, zu Recht Kritik. Es ging aber nicht nur um die Art der Organisierung, sondern auch um Inhalte; die Analyse sowie die programmatische Konsequenz der PKK liefen der Idee der „nationalen Befreiung“ als einzige Möglichkeit auf Souveränität jahrzehntelang starr hinterher. Insgesamt ging die Kritik über verbale Meinungsverschiedenheiten hinaus und mündete auch in der beidseitigen Absage der kontinuierlichen, gemeinsamen Kooperation, wodurch der Kontakt allmählich abbrach.

Inzwischen beobachten wir einen substantiellen Turn der kämpfenden PKK-Strukturen (mitsamt ihrer jeweiligen Ableger PYD, PJAK etc.) vor Ort, zunehmend auch innerhalb der Exilstrukturen. Das drückt sich nicht nur im Sinneswandel in den neuen Texten von PKK-Mitbegründer Abdullah Öcalans aus (wobei uns als undogmatische Linke der exzessive Personenkult um ihn immer noch stört). Auch im Gesprächen mit kurdischen Genoss*innen (zu denen wir bei den zahlreichen Demos und Aktionen gegen den IS wieder mehr in Kontakt getreten sind) deutetet sich die Durchsetzung eines „Paradigmenwechsels“ an. In Rojava manifestiert sich eine neue kurdische Bewegung, die den Kampf um Gleichstellung durch die Erlangung sowie Akzeptanz einer eigenen Nation ad acta legt und im Sinne des „demokratischen Konföderalismus“ nach emanzipatorischen Perspektiven einer
Gesellschaftstransformation sucht. Nicht nur in Kurdistan, sondern darüber hinaus in den angrenzenden Staatsgebieten Türkei, Iran, Syrien und Irak soll gemeinsam mit den Menschen unterschiedlicher religiöser und/oder sogenannter ethnischer Zugehörigkeiten eine gemeinsame, friedvolle Perspektive erarbeitet werden.

Gerade bei der Gradwanderung ist die Haltung wichtig

Das ist ein enormer Anspruch, und angesichts der desaströsen politischen Hegemonien sowie deren (noch) stabilen Rückhalt in weiten Teilen der Bevölkerungen – nicht nur in den genannten Ländern – nicht in allernächster Zukunft vorstellbar. Wichtig und entscheidend ist, dass entlang der vielfältigen und komplexen Risse der Staatlichkeit sowie der Politik in Syrien diese Emanzipation nicht nur am Schreibtisch oder am Stammtisch erdacht, sondern in der Praxis selbst auf kleiner lokalen Ebene ausprobiert – und verteidigt wird. Verteidigt wird das Projekt von Frauenemanzipation (welche im Übrigen über die Glorifizierung gefallener Kämpferinnen hinausgeht und sich in durchgehend geschlechtlich quotierter Besetzung der Rätespitze ausdrückt), Selbstverwaltungsorgane bzw. genossenschaftliche Organisationsformen.

Das Experiment von Rojava ist keine per se außerkapitalistische Alternative und kann es bei den sozioökonomischen Rahmenbedingungen in einer Kriegssituation auch gar nicht sein. Aber die Menschen in Rojava schließen sich nicht nur aus Gründen der militärischen Selbstverteidigung zusammen. Sie üben sich zudem in Kollektivierungsprozessen von unten auch in der Ökonomiesphäre sowie in kulturellen, sozialen und weiteren Lebensbereichen. In erster Linie handelt es sich also um eine pragmatische, notwendige Maßnahme, um das Überleben im Alltag zu sichern. Das müssen wir, wissend um die strukturellen Beschränkungen solcher im Wesen genossenschaftlicher Initiativen, als Allerwichtigstes unterstützen. Darüber hinaus enthalten sie nämlich Ideen von Selbstorganisation, rational geplanter Ökonomie und die Aufhebung des Ausbeutungsverhältnisses als „Keimform“ und können somit eine gesellschaftstransformative Perspektive aufweisen.

Gerichtet ist die Formierung der Selbstorganisation gegen den durch das Assad-Regime begonnenen Krieg, in dem sich der islamistische, fundamental reaktionäre und brutalste „Islamischen Staat“ (IS) herausbilden konnte. Der IS sieht – nicht umsonst – einen seiner entschiedenen Feinde in den progressiven kurdischen Initiativen, manifestiert im Kanton Rojava, und führt einen Krieg gegen ihn, mit all seinen Grausamkeiten. In solch einer Situation geht es nicht bloß um das klügere Argument oder um die Bewahrung des kritischen Geistes, sondern orientiert an Rosa Luxemburg lautet die Losung: demokratische Selbstverwaltung oder Barbarei.

Selbstverständlich ist Rojava und auch die Politik der neuen, gewandelten PKK nicht widerspruchsfrei oder losgelöst von kritikwürdigen Entscheidungen und Strukturen. Wer aber aufgrund solcher „Zweifel“ sich der Solidarität sowie der Notwendigkeit der Parteiergreifung entzieht, verschließt die Augen: In Rojava wird nicht nur ein lokaler Kampf weit weg von uns geführt, sondern die Idee der universellen Humanität verteidigt.

Unter anderem darum geht es bei der Demonstration gegen die Innenministerkonferenz in Köln. Wenn die bundesdeutsche Regierung das PKK-Verbot aufrecht erhält, bedeutet das weiterhin eine strukturelle, organisatorische, personelle, finanzielle und letztendlich auch politische Schwächung der für die Selbstverwaltung kämpfenden Genoss*innen vor Ort. Deswegen stehen wir, hier und heute im Besonderen, unter der Forderung der Aufhebung des Verbots der PKK.